Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
machte er sich auf den Weg.
Nach drei Wochen Auf- und Ab-Gekraxel in hochalpinem Gelände kam ihm der Fußmarsch in der Antarktis anfangs wie ein Sonntagsspaziergang vor. Das Gelände war flach wie ein Brett, der Schnee auf dem Eis nur ein paar Zentimeter hoch, und Siebeneisen fühlte sich beinahe beschwingt, als er so Richtung Horizont ging, immer der Spur der Kufen folgend. Nach einiger Zeit machte sich allerdings bemerkbar, dass er morgens blöderweise quasi übergangslos vom Sofa auf das Schneemobil geklettert war: Er bekam Hunger. Sein Magen begann zu knurren, und er fühlte sich mit jedem Schritt matter. Durst hatte er auch, aber zumindest der ließ sich stillen, Wasser lag ja nun wirklich genug herum in dieser Gegend. Nach zwei Handschuhvoll Schnee ging es ihm etwas besser. Er ertappte sich dabei, wie er Zappas alten Gassenhauer vor sich hinsummte, den mit den Huskies, und dass man in deren Nähe besser keinen gelblich verfärbten Schnee essen sollte, der hatte die irdische Popwelt auch zu früh verlassen, der Zappa. Siebeneisen aß noch einen Handschuhvoll. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick auf einen schwarzen Punkt dreißig oder vierzig Meter weiter rechts. Er stapfte hinüber und hob ein verschrumpeltes Stück Leder auf: ein Ball. Ein handgenähter und schon ein wenig älterer Lederfußball, halb aufgepumpt, wie auch immer der hier hingekommen war. Sein Besitzer hatte sogar den Namen seines Lieblingsvereins ins Leder prägen lassen, Endurance 14. Er hielt den Ball lange in der Hand. Am Ende beschloss er, ihn in seinen Overall zu packen und mitzunehmen. Umweltoffizier Rashid hätte dieses Müllaufsammeln bestimmt gefallen.
Dass mit seiner Marschrichtung etwas nicht stimmte, fiel ihm erst auf, als die Berge von der rechten Seite plötzlich genau vor ihm lagen. Siebeneisen schaute hinunter zu seinen Füßen: Da waren die Kufenrinnen. Seine eigenen Abdrücke hinter ihm waren vom unermüdlich säuselnden Wind bereits verweht, Samsons zweitausend Kilo aber hatten Spuren hinterlassen, die deutlich zu sehen waren. Und diese Spuren führten zu den Bergen da vorne. Siebeneisen war sich sicher, dass dies die falsche Richtung war: O’Shadys Camp lag viel weiter westlich. Wie konnte das sein? Wo war Meadow hingefahren? Das alles machte keinen Sinn, dachte er. Er sah auf seine Uhr und stellte fest, dass er nach der langen Fahrt jetzt schon beinahe drei Stunden zu Fuß unterwegs war – es konnte wirklich nicht mehr weit sein. Allerdings nur, wenn er nicht weiter munter auf diese blöden Berge zumarschierte. Er drehte sich einmal um die eigene Achse. Und sah einen Mann in einer feuerroten Jacke. Der Mann hockte in einiger Entfernung am Boden. Um ihn herum standen ziemlich große Pinguine.
16
Seinen ersten »Orient«-Band hatte er zum zwölften Geburtstag bekommen. Von Tante Maria. Bis dahin hatte er nur die Bücher aus dem Wilden Westen gelesen, eines nach dem anderen, drei Winnetous , drei Old Shurehands , den Schatz im Silbersee . Unter Geiern gleich zweimal, der Band war der beste, ganz klar. Dass dieser Karl May aber auch Abenteuergeschichten geschrieben hatte, die in den Wüsten Arabiens spielten – das war eine ziemliche Überraschung gewesen. Old Shatterhand hieß hier Kara ben Nemsi! Gut, es gab keinen Winnetou, und dieser Hadschi Halef Omar mit seinen neun weiteren Nachnamen war eine Lachnummer, sonst aber ging es auch in den Dünen und Oasen der arabischen Halbinsel richtig karlmaymäßig ab. Außerdem gab es in dieser Gegend ein paar Dinge, von denen man bei den Apachen und Goldgräbern drüben im Llano Estacado null Ahnung hatte: Sandstürme zum Beispiel. Oasen. Haremsfrauen. Am besten, am allerbesten aber waren die Lichtspiegelungen. Saustark waren die! Immer, wenn in den Büchern eine Fata Morgana vorkam, die Kara und Hadschi natürlich nicht gleich als Fata Morgana erkannten, hätte er beim Lesen am liebsten laut in die Buchseiten hineingerufen und die beiden gewarnt. Wenn sich aber die bösen Verfolger von einer optischen Täuschung noch tiefer in die Wüste hineinködern ließen, hatte er wissend gelächelt und sich ausgemalt, wie die Schurken keine zehn Seiten später ihr kümmerliches Ende finden würden. Und wenn sich der kleine Siebeneisen nach der Lektüre aller 87 Karl-May-Bände später als großer Siebeneisen auch nur noch ein einziges Mal ernsthaft mit dem Thema beschäftigt hätte: Er hätte vier Jahrzehnte später gewusst, dass eine Fata Morgana zwar sehr nach arabischer Wüste
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