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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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klingt, selbstverständlich aber auch in anderen Weltenecken auftauchen kann. In der Antarktis zum Beispiel.
    Der Mann in der roten Jacke reagierte nicht. Überhaupt nicht. Siebeneisen rief, Siebeneisen pfiff, er schrie und fuchtelte mit beiden Armen und hüpfte auf und ab, der Mann aber schien ihn weder zu sehen noch zu hören. Die Pinguine ebenfalls nicht. Also lief Siebeneisen auf sie zu, hundert Meter, zweihundert, dreihundert, aber sie kamen überhaupt nicht näher. Im Gegenteil: Das idyllische Bild des Menschen inmitten seiner Pinguine schien eher unschärfer zu werden und flimmerte jetzt ganz eigenartig, als ob die Gruppe ein paar Zentimeter über dem Eis schwebte. Dann plötzlich fiel Siebeneisen sein zwölfter Geburtstag ein und das Geschenk von Tante Maria. Eine Lichtspiegelung, dachte er, eine Fata Morgana. Wie in dem Buch. Wie an der Stelle, als Kara ben Nemsi nach zwei Tagen Fußmarsch die Oase sieht und glaubt, er könne in einer halben Stunde im Palmenschatten chillen, Datteln lutschen und in den sanft kreiselnden Nabel einer Bauchtänzerin blicken. Genau so.
    Siebeneisen war erstaunt, aber auch leicht irritiert. Was hatte das zu bedeuten? Was sah er da? Zum bestimmt neunzehnten Mal an diesem Tag setzte er sich in den Schnee und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Ihm war ziemlich blümerant. Das kommt, weil ich noch nichts gegessen habe, dachte er. Nix gegessen, zu wenig getrunken und seit Stunden zu Fuß in dieser verdammten Eislandschaft unterwegs. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Wie war das noch? Eine Fata Morgana zeigt einem etwas, das zwar existiert, aber weiter weg ist, als einem die Luftspiegelung vorgaukelt – so war das doch, oder? Ja. Doch. Das stimmte. Und was hieß das jetzt? Siebeneisen überlegte. Das Denken fiel ihm immer schwerer. Also, überlegte er und bemerkte, dass in seinem Hirn allmählich alles in Superzeitlupe ablief, also ganz langsam, das bedeutete: Irgendwo hinter dem Horizont hockte dieser Mann bei seinen blöden Pingus. Konnte nicht anders sein. War nur so zu erklären. Irgendein Instinkt sagte Siebeneisen, dass er sich jetzt ganz schnell zusammenreißen und motivieren musste. Auch wenn er eigentlich lieber sitzen geblieben wäre. Oder, noch besser, sich in den weichen Schnee gelegt hätte. Er rappelte sich auf. Holte den Ball des Endurance-14-Fans aus dem Overall. Warf ihn vor sich in den Schnee. Nahm ein paar Schritte Anlauf. Trat den Ball mit dem Spann in Richtung Pinguinmann. Er musste einfach weitergehen, wie Kara, beschloss er. Irgendwann würde er ankommen.
    320 Abstöße später war seine Schusstechnik erstaunlich ausgereift – Endurance 14 flog bei jedem Mal in perfektem Bogen bis tief in die gegnerische Hälfte. Der Mann mit der roten Jacke hockte noch immer irgendwo da hinten zwischen seinen Pinguinen, weiß der Teufel, was der dort machte. Siebeneisen konnte sich nicht vorstellen, wie man es derart lange in der Nähe dieser stinkenden Viecher aushalten konnte. Egal. Er trat gegen den Ball, der Ball flog, der Ball landete weit vor ihm auf dem Eis, der Ball rollte noch ein paar Meter, der Ball blieb liegen. Und weiter geht’s, dachte Siebeneisen und stapfte schwerfällig voran, das waren mindestens hundert Meter, dieser Abstoß. Er nahm zum 322. Mal die Fata Morgana ins Visier, und der Ball flog, und dann landete der Ball am Hinterkopf eines großen Pinguins, und der Pinguin gab ein erschrockenes Trötgeräusch von sich, und um die Gruppe herum materialisierten sich plötzlich etwa 7 000 weitere Pinguine aus dem Dunst und stimmten in das Tröten ein, und der Mann in der roten Jacke sprang auf und starrte Siebeneisen fassungslos an. Siehste, dachte der, Kara ben Nemsi hatte Recht: Weitergehen, man musste immer nur weitergehen.

17
    Der heiße Tee tat gut. Vor Hunger und Erschöpfung hatte Siebeneisen überhaupt nicht bemerkt, wie durchgefroren er war. Als er James O’Shady dann in die kleine Satellitenstation gefolgt war und den hinterherwatschelnden Pinguinen die Tür vor der Nase zugeknallt hatte, war ihm die Wärme flutartig durch den Körper geströmt, eine rauschende Welle, die innerhalb von Sekunden jeden Teil seines Körpers erreichte und die Haut kribbeln ließ. O’Shady hatte Tee gekocht und in den Tee einen großen Schuss aus einer Flasche Rum gegeben. Jetzt lehnte Siebeneisen tiefenentspannt auf einem Stuhl im Büro des Forschers und lauschte fasziniert den feinen Rhythmen, die in jedem seiner Finger und Zehen pochten. Er erzählte

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