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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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musste. Allerdings hatte er den Eindruck, dass die Sicht immer schlechter wurde. Es war kein Nebel, der sich gebildet hatte, es schien vielmehr so, als schwebe das Licht selbst um sie herum und verhindere durch sein diffuses Leuchten den Blick auf den Rest der Welt. Siebeneisen linste über Meadows Schulter nach vorne zum Horizont, aber auch der war verschwunden. Als rasten sie auf eine weiße Wand zu, so sah das aus. Die Berge rechts waren auch weg. Und natürlich musste das Gelände genau jetzt uneben und holprig werden, war ja klar, dachte Siebeneisen, auf seinen Vespafahrten ging ihm auch immer dann das Benzin aus, wenn sich hinter ihm ein Gewitter zusammenzog.
    Meadow bretterte weiter unbeirrt geradeaus und ließ Samson über die kleinen Unebenheiten im Eis fliegen, die allerdings leider sehr schnell zu größeren Unebenheiten wurden.
    »Wollen wir nicht ein bisschen langsamer machen?«, schrie er nach vorne.
    Meadow antwortete nicht – bei der Geräuschmelange aus Motorenfauchen und Fahrtwind wunderte Siebeneisen das nicht. Die nächste Unebenheit im Eis war dann schon eher eine Bodenwelle: Siebeneisen machte einen kleinen Hopser und krachte anschließend zurück auf Samsons Sattel. So ging das nicht weiter. Er reckte sich hinter Meadows schützendem Rücken auf, bis er mit dem Mund an jener Stelle der Overall-Kapuze war, hinter der ihr rechtes Ohr stecken musste.
    »Hey!! Bitte! Etwas! Langsamer!« Seine Arme klammerten sich um Meadows Hüfte, seine Oberschenkel pressten gegen Samsons Sitz, aber dann kam leider schon die nächste Bodenwelle, und als Siebeneisen nach seinem kurzen Hüpfer eigentlich wieder auf dem Sitz aufschlagen sollte, war da kein Sitz mehr, sondern nur noch das Nichts, das große Nichts, das große, weiße Nichts.
    Polarreisende, die einen Whiteout überleben, berichten anschließend oft von einer Grenzerfahrung mit surrealen Zügen – in Siebeneisens National-Geographic -Heften wurden solche Zeugen gerne zitiert. Populärwissenschaftlich muss man sich ein solches Wetterphänomen als eine Art Photonen-Pingpong vorstellen, bei dem die Lichtstrahlen unentwegt zwischen den Eiskristallen der tief hängenden Wolken und den Eiskristallen im Schnee am Boden auf und ab dotzen. Von diesem Hin und Her ist das Auge restlos überfordert – es sieht nur noch Weiß. Weil im unwirklichen Licht eines Whiteouts auch Horizont und Schatten gänzlich verschwinden, fehlt der menschlichen Wahrnehmung jeglicher Anhaltspunkt, was zu Schwindelgefühlen und Orientierungslosigkeit führen kann. Es soll Polarreisende gegeben haben, die in einem Whiteout mit Karacho gegen einen einfamilienhausgroßen Eisblock gerannt sind. Und ihn auch dann noch nicht gesehen haben, als sie anschließend benommen wieder auf den Beinen standen.
    Das zumindest konnte Siebeneisen nicht passieren. Nachdem er mehrere Minuten lang verzweifelt versucht hatte, ein Oben von einem Unten zu unterscheiden, blieb er einfach im Schnee sitzen. Ihm war speiübel. Das kam nicht vom Sturz, da war er sich sicher, er war zwar auf sein Steißbein gekracht, der Kopf aber war in Ordnung, dieses Weiß da machte das mit ihm. Von Meadow war nichts zu sehen. Natürlich nicht, dachte er, wie denn auch, er konnte ja kaum seine Füße erkennen. Eine tiefe Stille umschloss ihn in diesem weißen Nichts, eine unendliche, ewige, alles umfassende Stille. Er fand es etwas seltsam, dass Samsons fauchendes Motorengeräusch nicht zu hören war, noch nicht einmal irgendwo in der Ferne. Wahrscheinlich hatte Meadow den Motor gestoppt, nachdem sie ihn verloren hatte. Bestimmt wartete sie auf bessere Sichtverhältnisse. Siebeneisen beschloss, erst einmal zu bleiben, wo er war.
    Eine halbe Stunde später war die Welt wieder da. Ein strenger Wind hatte die dicke Decke am Himmel auf- und auseinandergerissen; nun war er dabei, große Wolken von den anderen zu isolieren und sie anschließend einzeln fertigzumachen. Innerhalb weniger Minuten konnte Siebeneisen wieder alles erkennen: seine Füße, den Himmel, die Berge rechts, alles war zurück. Bloß Meadow war nirgends zu entdecken – Samsons Kufenspur führte kerzengeradeaus Richtung Horizont und verschwand in der Ferne. Siebeneisen war erschüttert. Wie konnte man nicht merken, dass man seinen Beifahrer verloren hatte? Und einfach weiter stur geradeaus düsen? Zum Glück war die Schneemobilspur ein eindeutiger Wegweiser. Sie hatten knapp drei Stunden Vollgas gegeben, da konnte es nicht mehr wirklich weit bis zum Ziel sein. Also

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