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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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möglicherweise komplexe neurologische Vorgänge eingesetzt, auf die dann ganz bald unkontrollierbare körperliche Reaktionen folgen würden. Er dachte an Liams Urschrei im Happy Shamrock. O’Shady aber schwieg wieder. Eine milde Stille erfüllte die kleine Forschungsstation. Das einzige Geräusch, das im entlegensten aller Außenposten der britischen Royal Geographic Society zu hören war, war das leise Klicken der Schnäbel an den Fensterscheiben.
    Und dann begannen die Reagenzgläser in den Regalen zu vibrieren, und dann das Geschirr in der Spüle und die Fensterscheiben und alles andere, und aus einem leichten Brummen am Rande der Wahrnehmung wurde ein dumpfes Fauchen und dann ein ohrenbetäubendes Röhren. Durch das Fenster konnte man sehen, wie die Pinguine ihre Beobachtungsposten verließen und in heller Aufregung Richtung rettendes Wasser davonwatschelten. Jetzt war das Röhren ein Kreischen. Jetzt wurde eine gewaltige Ladung Schnee gegen die Fenster geschleudert. Jetzt war es schlagartig still. Und jetzt flog die Tür auf.
    Interessanterweise zeigte Meadow beim Anblick ihres verlorenen Sozius’ sämtliche Symptome einer endorphinösen Stimulanz. Siebeneisen fürchtete minutenlang, er würde erstickt beziehungsweise erdrückt werden oder bei einem gemeinsamen Sturz teures wissenschaftliches Gerät zerstören. Die Amerikanerin freute sich so überschwänglich, dass sie überhaupt nicht bemerkte, dass auch er sich gesorgt hatte – um sie.
    »Ich bin am Lenker eingeschlafen. Muss schon passiert sein, als Sie noch hinten draufsaßen. Dadurch, dass Sie sich an mir festgeklammert haben, konnte ich nicht runterfallen.«
    »Und wann sind Sie wach geworden?«
    »Als ich Sie verloren hatte, bin ich wohl ganz allmählich nach rechts weggerutscht. Dadurch hab ich Samson in eine langgezogene Kurve gelegt. Und bin auf dem Kurs irgendwann mitten in eine Schneewehe gefahren. In der bin ich dann aufgewacht.«
    Das erklärte, warum die Kufenspuren plötzlich vom Kurs abgekommen waren, dachte Siebeneisen. Zum Glück war er denen nicht blindlings hinterhergelaufen. Und zum Glück hatte sich seiner Chauffeurin nur eine Schneewehe in den Weg gestellt. Hätte ja auch gut eine Felswand sein können. Oder ein gestrandeter Eisberg.
    »Ich bin dann in weitem Bogen zurück zu der alten Route gefahren, habe Sie aber nirgends gefunden. Auch keine Fußspuren. Also bin ich zurück zur Station, zum Auftanken, und sofort wieder los, auf der gleichen Strecke. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie es bis zu den Engländern schaffen würden …« Erst jetzt schien sie den Pinguinexperten zu bemerken. O’Shady saß noch immer schweigend auf seinem Drehstuhl. Er hielt Endurance 14 in den Händen und betrachtete den Ball, als sei ihm längst eine Erklärung für die merkwürdige Aufschrift in den Sinn gekommen, die sich aus irgendwelchen Gründen aber nicht in Worte fassen ließ.
    »Das ist James O’Shady«. Siebeneisen nickte zu dem Iren hinüber, »James – das ist Meadow, die amerikanische Kollegin, von der ich erzählt habe.«
    O’Shady nickte Meadow zu. Mehr als ein leises »Hi!« schaffte er nicht. Der Mann schien durch die Nachricht von seinem Erbe ähnlich traumatisiert zu sein wie damals Schatten, dachte Siebeneisen.
    »Das hier ist für Sie gefaxt worden«. Meadow zog ein verknittertes Blatt Papier aus ihrem Overall. Wipperfürth, dachte Siebeneisen, seine nächste Zielperson, sein nächster Einsatzort, seine nächste Odyssee.
    Auf dem Fax war das Schwarz-Weiß-Foto eines Mannes zu sehen. »Dieses Mal haben wir sogar ein Foto für Dich!!!«, hatte Wipperfürth neben die Aufnahme geschrieben. Als ob die drei Ausrufezeichen alles besser machen würden, dachte Siebeneisen, während er weiterlas, »außerdem haben wir herausgefunden, dass er in Louisiana wohnt, wahrscheinlich in New Orleans oder irgendwo in der Nähe.« Für einen kurzen Moment war er versucht, die Formulierung »oder irgendwo in der Nähe« nach ihrer Explosionskraft abzutasten, ließ es dann aber bleiben, weil er ahnte, welche Schreckensszenarien er damit hinaufbeschwören würde. Stattdessen sah er sich Finn O’Shady an, sein hageres Gesicht, seinen Kotelettenbart, die lichte, hohe Stirn.
    Der Rest der Nachricht las sich dann wieder wie ein echter Wipperfürth: Wie es ihm gelungen war, ein günstiges Flugticket von Ushuaia nach Louisiana zu buchen. Dass er jetzt auch eine Facebookseite für »unseren großen Reisenden« angelegt habe. Dass Siebeneisen unbesorgt sein

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