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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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O’Shady, wie er vom Motorschlitten gefallen und ein paar Stunden lang durch Eis und Schnee gestapft war, berichtete von Whiteout, Fata Morgana und von Endurance 14, mit dessen Hilfe er sich motiviert hatte.
    »Sie haben das Teil da draußen gefunden?« Der alte Lederball schien den Iren mehr zu interessieren als die Schilderung vom heroischen Marsch durch die Kälte. Siebeneisen gab Endurance 14 einen Tritt und ließ ihn zum Stuhl seines Gesprächspartners hinüberrollen, der ihn mit dem Fuß stoppte.
    »Und was wollen Sie denn eigentlich hier bei mir?«
    Damals, donnerstags im Fetten Hecht, als Schatten ihnen die Geschichte von der möglichen Erbschaft erzählt und es Siebeneisen gedämmert hatte, dass er den Glücksboten spielen sollte – da hatte er sich kurz vorgestellt, wie seine Begegnungen mit den Erben ablaufen würden: Er und ein oder eine O’Shady, in einer schicken Hotelsuite oder in einem gediegenen Restaurant, das Gespräch mit der frohen Kunde von den 50 Millionen Euro beginnend, ja, doch, natürlich ist das wahr, ihre Großgroßtante Claire, hat sie wohl ganz besonders gerngehabt, so was alles. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihm damals ein Krankenhaus im Outback in den Sinn gekommen wäre. Auch kein Irish Pub wie aus einem hippiesken LSD -Traum, und erst recht keine Forschungsstation, in der ein beißender Gestank in der Luft hing. Siebeneisen sah aus dem Fenster: Die Kaiserpinguine waren groß genug, um sie zu beobachten, ihre Köpfe reihten sich knapp oberhalb der Fensterbank auf der gesamten Länge der Fensterfront. Wenn sie mit den Schnäbeln ans Glas stießen, klickte es leise.
    »Ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen«, sagte er ruhig zu O’Shady, »es hat einen Todesfall in Ihrer Familie gegeben.«
    Vor seinem Aufbruch nach Australien hatte Siebeneisen eine ganze Reihe Termine absolviert. Er war bei diversen Tropenmedizinern und seinem Zahnarzt gewesen, außerdem bei einem Allergologen und in den Zweigstellen seiner Kranken- und Lebensversicherungen. Einen Tag vor Abflug hatte es dann noch ein Treffen mit zwei Außendienstmitarbeitern eines Glücksspielunternehmens gegeben – also mit Leuten, bei denen das Überbringen guter Nachrichten zum Berufsbild gehörte. Seitdem wusste Siebeneisen, dass Lotteriegesellschaften ihre Glücksboten intensiv im Umgang mit Reaktionen schulen, mit denen sie bei der Überbringung ihrer Nachricht konfrontiert werden können. Diese Kurse werden von den Teilnehmern als ungemein anstrengend empfunden, weil sie in Testszenen innerhalb weniger Sekunden die psychische Stabilität ihres Gegenübers einschätzen müssen (was ziemlich genau der Zeitspanne entspricht, die den Glücksboten in ihrer Berufsrealität zur Verfügung steht). Viele Menschen kommen nicht unbedingt gut mit der Nachricht von einem größeren Geldgewinn klar, hatten ihm die beiden Glücksboten erklärt. Manche veranstalten lediglich einen Veitstanz durchs heimische Wohnzimmer und versuchen, den Endorphin-Tsunami in ihrem Hirn durch laute Schreie in den Griff zu bekommen. Andere beginnen hemmungslos zu weinen. Manchmal allerdings kommt es zu plötzlichen Schüben sexuellen Verlangens, die sich im Zweifelsfalle auch auf den Überbringer der frohen Botschaft richten können, eine Reaktion, die als »endorphinöse Stimulanz« bezeichnet wird. Dann wiederum gibt es Personen, die wie vom Schlag getroffen in Ohnmacht fallen, gerne auch in Richtung eines Glastischs. Am gefährlichsten sind jene Gewinner, die von den Kursleitern als »misstrauisch-aggressiv« bezeichnet werden. Weil sie den Lotto-Angestellten erstens für einen Trickbetrüger halten und zweitens über ein erhöhtes Aggressionspotenzial verfügen. Ein Teil der Schulungen bei den Lotteriegesellschaften, hatte Siebeneisen erfahren, ist deswegen in der Regel den Grundgriffen fernöstlicher Verteidigungstechniken gewidmet.
    Und James O’Shady? Der sagte: nichts. Überhaupt nichts. Saß einfach nur da auf seinem Stuhl, ließ den Ball zwischen seinen Füßen hin und her rollen und schwieg, während Siebeneisen alles noch einmal wiederholte, schön langsam, zum geistigen Mitschreiben: steinreiche Großgroßtante. Verstorben. Acht Erbberechtigte. 50 Millionen für jeden. Euro. Aber nur, wenn ausnahmslos alle gefunden werden konnten. Zustimmten. Zur Auszahlung in Dublin erschienen.
    »Habe ich alles verstanden«, flüsterte O’Shady.
    Gottseidank, dachte Siebeneisen. Er hatte schon befürchtet, bei O’Shady hätten

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