Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
hinter ihm, etwa zwischen Nepal und der Antarktis. Wenn er es irgendwann einmal bis New Orleans geschafft haben sollte, würde der restliche Siebeneisen möglicherweise schon wieder zu Hause in Oer-Erkenschwick sitzen. Und darauf warten, dass der Rest seiner selbst irgendwann eintrudelte. Er seufzte leise und sah aus dem Fenster: Wasser. Sie mussten irgendwo zwischen den Erdteilen sein. Im Sitz neben ihm lächelte Lawn im Schlaf.
Die Entscheidung, mit ihm nach Afrika zu fliegen, hatte sie innerhalb weniger Sekunden getroffen. Erstens habe sie seit mindestens zehn Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, zweitens interessiere sie sich brennend für die Riten südafrikanischer Medizinmänner, und drittens, ja, doch, drittens werde sie ihn, Siebeneisen, nicht schon wieder aus ihrem Leben verschwinden lassen, wo er dort doch gerade erst aufgetaucht sei: Frauen haben die erstaunliche Gabe, diese komplizierte Welt manchmal absolut simpel erscheinen zu lassen. Noch von ihrem Tisch im Café du Monde aus hatte Lawn telefonisch sämtliche Termine für die kommenden Wochen abgesagt, die liefen ihr nicht weg, beteuerte sie, Entitäten seien äußerst standortstabil. Zu Hause benötigte sie dann keine zehn Minuten, um eine Reisetasche zu packen und die Nachbarn zu bitten, sich um die Post zu kümmern. Dann war sie fertig. Siebeneisen, dessen eigene Reisevorbereitung schon wegen zahlreicher Arztbesuche mehrere Wochen in Anspruch genommen hatte, war beeindruckt.
Überhaupt wunderte er sich über sich und den Lauf der Dinge. Er reiste mit einer Frau. Er war verliebt. Er fühlte sich wie ein Teenager, inklusive Magenflattern und Wackelpuddingknie. Wenn er vor einem Monat, ach was: wenn er vor zehn Tagen gefragt worden wäre, ob er sich das vorstellen könnte, Freundin, Händchenhalten, Tief-in-die-Augen-Blicke, Schmetterlinge im Bauch, all so was eben – er hätte sarkastisch abgewunken. Er? Er, der nach JL das Thema Frauen ein für alle Mal abgehakt hatte? Der Jahre gebraucht hatte, bis er zum ersten Mal über seinen Verlust sprechen konnte? Und noch ein paar Jahre länger, bis er dachte, glaubte, hoffte, halbwegs darüber hinweg zu sein? Und jetzt hatte diese Frau die Mauern seiner solide gefugten Festung nicht nur erstürmt, sondern sie an einem einzigen Abend zu Fall gebracht. Eine Frau, die aussah wie von einem Gemälde aus einem anderen Jahrhundert. Die nichts dabei fand, von heute auf morgen mit ihm nach Afrika zu fliegen, um für eine andere Person einen Miterben aufzustöbern. Die mit der Geisterwelt in Kontakt stand, seit sie vier oder fünf war und auf dem Schulhof mit Kindern gespielt hatte, die für den Rest der Klasse unsichtbar waren. Siebeneisen betrachtete Lawn, die noch immer im Schlaf lächelte. Vielleicht hat sie eine Art Zauber gewirkt, dachte er. Manche Menschen können das ja.
Nach zwölf Stunden Flug in einer ausgebuchten Maschine wirkte das Gewusel am Flughafen von Johannesburg nicht unbedingt entspannend auf die Ankommenden. Die Wartehallen und Lounges sahen aus wie eine Mischung aus Flüchtlingslager und Cafeteria der Vereinten Nationen, alles lärmte und lief durcheinander, Frauen in bunten Gewändern und gewaltigen Turbanen auf dem Kopf, Männer in Anzügen, Touristen mit Sonnenbrand und Rucksäcken, fromme Pilger auf dem Weg nach Mekka, UN -Soldaten mit hellblauen Baretts. Wo Platz war, lagerten Großfamilien auf Decken, die sie zwischen den Wartesitzen auf dem Boden ausgebreitet hatten. Siebeneisen und Lawn warteten geduldig am Schalter für den Weiterflug zum Nationalpark. Die einzige anwesende Angestellte von »Safari Airways« hielt einen Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und unterhielt sich mit einer Freundin über die aktuellen Preise gefälschter Viagratabletten, während sie sich die Fingernägel in einer Art Zebrastreifenmuster lackierte. Sie hörten und sahen ihr etwa fünf Minuten zu, bevor Lawn den lustigen Plausch beendete, indem sie mit ihren – unlackierten – Fingernägeln einen kleinen Trommelwirbel auf dem Schalter hinlegte. Zwei Minuten später hatten sie ihre Bordkarten. Siebeneisen fand, dass er viel zu wenig über die kleinen Signale von Frauen wusste.
Sie schlenderten in Richtung ihres Gates. Der einzige geöffnete Laden in diesem Teil des Flughafens verkaufte eine beeindruckende Auswahl geschnitzter Salatbestecke, Elefanten-Buchstützen und Giraffen mit dünnen Hälsen, von denen die größten höher als er selbst waren. Er fragte sich, wie jemand so etwas
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