Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Stand war, hatte der gute Siebeneisen schon vier dieser O’Shadys ausfindig gemacht. Drei fehlten noch.
Wie konnte jemand so ein Testament machen? Eines, bei dem jeder Erbberechtigte sein Geld nur dann erhielt, wenn auch alle anderen gefunden wurden? Was, wenn am Ende einer von einem Löwen gefressen wurde? Walburga wusste, dass Siebeneisen gerade auf dem Weg nach Afrika war, das hatten Schatten und Wipperfürth erzählt. Wenn sie die beiden richtig verstanden hatte, begann damit der bislang gefährlichste Teil der Reise: Siebeneisen sollte in einen Nationalpark reisen, dessen Infrastruktur noch nicht ausgebaut war. Dort gab es angeblich weder Hotels noch Gaststätten, wohl aber sehr viele sehr große Tiere. Und geschlafen wurde in Zelten oder Hängematten. Der Arme! Das hatte er nicht verdient, ihr Siebeneisen. Sowieso war das alles nicht fair, fand sie. Einer machte alle Arbeit, und die beiden anderen saßen faul bei ihr im Wirtshaus herum und schwadronierten. Das ging jetzt auch schon ewig so. Und wer weiß, wie lange diese Sucherei noch dauern würde!
Mit ihrem Handstaubsauger bewaffnet ging Walburga hinüber zum Tipp-Kick-Tisch. Während sie das Spielfeld von den allgegenwärtigen Erdnusskrümeln befreite, dachte sie an jenen Abend zurück, an dem sich die drei im Fetten Hecht kennengelernt hatten. Ewig war das her! Anfang der Achtziger? Ja, um den Dreh musste das gewesen sein. Sie hatte den Hecht kurz zuvor von ihrem Vater übernommen und ein paar neue Dinge ausprobieren wollen, Rollenspieltage, Kleinkunst, Fotoausstellungen, solche Sachen. Und Quizwochenenden. Beim ersten »Trivial Pursuit«-Samstag waren Schatten, Wipperfürth und Siebeneisen unter den Gästen gewesen. Die drei hatten über jede Frage besserwisserisch diskutiert und jede Antwort in Frage gestellt, die auf den Spielkarten stand. Nach und nach waren alle übrigen Gäste nach Hause gegangen. Am Ende waren nur noch Schatten, Wipperfürth und Siebeneisen übrig geblieben.
Für die drei war dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft gewesen. Seit jenem Tag vor dreißig Jahren jedenfalls kamen sie einmal die Woche in den Fetten Hecht, anfangs mittwochs, später donnerstags. Manchmal dachte Walburga, dass ihre Kneipe für das Trio eine Art Ersatzwohnzimmer war. Keiner der drei war ja verheiratet, keiner hatte Familie, außer Schatten, der jede Menge entfernte Verwandtschaft drüben in Irland besaß. Wipperfürth war zweimal geschieden, soweit sie wusste. Und Siebeneisen hatte eine unglückliche Beziehung hinter sich. Seine große Liebe, das hatte er ihr einmal verraten, als seine beiden Freunde schon gegangen waren. Seitdem lebte er allein in seiner Mietwohnung in einem schrecklichen Hochhaus. Zusammen mit 120 Jahrgängen von diesen gelben Geografieheften, in denen er immerzu las, da würde nicht mehr viel Platz für irgendetwas sonst sein. Die waren schon ein wenig verschroben, die drei, dachte Walburga, während sie die Schalen mit den Erdnüssen auf den Tischen und dem Tresen verteilte. Pur waren wieder beim Refrain, und dieses Mal sang sie laut mit, wie schrecklich, wie ganz fürchterlich schrecklich es sich doch anfühlt, wenn man – morgens im Spiegel ein graues Haar entdeckt.
»Kannst du vielleicht mal was Vernünftiges auflegen? Etwas, das man auch hören kann, wenn man älter als zwölf ist?« Schatten stand in der Tür. Er schnaufte. Hinter seiner Schulter war Wipperfürths Kopf zu sehen. Die beiden setzten sich an einen Tisch unter die verspinnwebten Geweihe und bestellten zwei Flaschen Bier.
Schatten hatte tatsächlich seinen Laptop mitgebracht. Er klappte den Computer auf.
»Wie ich gerade eben schon gesagt habe: Wir können froh sein, dass dieser eine Großgroßcousin vorzeitig das Zeitliche gesegnet hat. Matthew O’Shady: Ein Guru in einem Ashram! Das wäre ’ne Nummer geworden.« Schatten schüttelte den Kopf. Zwei kleine Schweißtropfen hatten einen Weg aus dem Haar gefunden und beeilten sich, die Stirn zu überqueren.
»Die Leute nannten ihn ›Der Weise O‹ …, das muss man sich mal vorstellen. War offensichtlich eine Art Heiliger da drüben in Indien. So einer wie der Baghwan wahrscheinlich.«
»Im Ernst?« Wipperfürth, dessen Begeisterung für Zen deutlich abgeflaut war, seit er an der VHS die hohe Kunst von freier Rede und geschmeidiger Konversation studierte, trank an seinem Bier. »So richtig mit Jüngern und all dem Kram?«
»Scheint so. Wenn stimmt, was man über ihn liest, dann empfing er seine Gäste
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