Donnerstags im Park - Roman
übrig?« Chanty seufzte. »Glaubst du, es wäre in Ordnung für Ellie, wenn sie zu einer Tagesmutter ginge? Nur den Sommer über?«
»Kommt auf die Tagesmutter an. Bei vielen scheint das heute gut zu funktionieren.«
Sie wusste, dass sie nicht allzu begeistert klang bei dem Gedanken, ihre geliebte Ellie einer ihr unbekannten Person zu überlassen.
»Aber vermutlich findet man so kurzfristig sowieso keine, jedenfalls keine gute.«
»Tut mir leid, dass ich nicht helfen kann, Liebes.«
»Kein Problem, Mum. Dafür bist du nicht verantwortlich. Du wirst mit dem Umzug genug zu tun haben.«
Jeanie schluckte. Der Umzug. Das Thema hatte sie völlig verdrängt.
»Bis morgen«, sagte Chanty. »Ich freu mich schon, Mum.«
Jeanie hatte vermutlich ein genauso schlechtes Gewissen wie ihre Tochter. Jeanie fand es verwirrend, ihre familiären Verpflichtungen als Großmutter zu organisieren; manchmal kam sie sich vor wie in Treibsand. Begann nun wirklich ihr »drittes Leben«, wie Tante Norma es genannt hatte, oder war sie immer noch primär Ehefrau, Mutter und Großmutter?
Am folgenden Morgen erwachte Jeanie mit der merkwürdigen Erkenntnis, dass sie jetzt Seniorin war. Wie konnte das passieren? , fragte sie sich und erinnerte sich, wie sie Menschen dieses Alters zehn Jahre zuvor wahrgenommen hatte. Rita sagte, ihre Generation der Babyboomer sei anders, sie füge sich nicht einfach so in die Hinfälligkeit, aber saß nicht jede Generation diesem Irrglauben auf?
George streckte lächelnd den Kopf zur Tür herein. Er brachte ein Tablett, makellos gedeckt mit einer roten Rose in der Vase, Toast im Silberständer, einem Glas mit Marmelade, einer gefalteten Serviette neben einem gekochten Ei, einer dampfenden Kaffeekanne, einer blauen Porzellantasse und einem passenden Milchkännchen. An der Vase lehnten eine Karte und ein längliches, in Goldpapier eingeschlagenes Päckchen.
»Alles Gute zum Geburtstag, Schatz.«
Jeanie setzte sich auf, um ihm das Tablett abzunehmen. »Danke, George. Wie hübsch.«
Er zog wie üblich die Vorhänge auf und gab seinen Kommentar zum Wetter ab. »Ein strahlend schöner Tag.« Dann setzte er sich aufs Bett. »Komm«, drängte er sie, »mach’s auf.«
Jeanie lachte. »Immer mit der Ruhe …« Die Begeisterung ihres Mannes rührte sie. Sie griff nach dem Geschenk und verdrängte alle Gedanken an Ray.
In dem dunkelblauen Lederetui mit Goldborte befand sich eine elegante silberne Analoguhr mit rechteckigem Zifferblatt und einem Armband aus Silbergliedern.
Jeanie blieb die Luft weg. »Die ist wunderschön, Schatz, wirklich wunderschön.« Sie hielt ihm das Handgelenk hin.
»Finde ich auch«, erklärte er stolz.
Sie streckte die Arme nach ihm aus, um sich mit einem Kuss zu bedanken, und ausnahmsweise drückte er sie einen Moment lang an sich. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das das letzte Mal getan hatte. Fast hätte sie zu weinen angefangen.
»Hast du’s erraten? Du kennst ja meine Leidenschaft für Uhren.«
Jeanie schüttelte lachend den Kopf. »So eine wollte ich schon immer. Ich hatte überhaupt nicht mit Geschenken gerechnet. Sie gefällt mir sehr.«
Jetzt flossen tatsächlich Tränen. George ergriff entsetzt ihre Hand. »Was ist denn los, altes Mädchen?«
Wenn er sie nur nicht immer so genannt hätte! Dieser Ausdruck stand für alles, was in ihrer Beziehung nicht stimmte. »Nichts. Ich bin nur einfach überwältigt.«
George nickte. »Ja, der sechzigste Geburtstag ist eine große Sache, besonders für eine Frau.«
»Warum gerade für eine Frau?«
»Na ja, du weißt schon … bei Männern ist das Alter egal.«
»Ach.«
George, dem der verärgerte Tonfall seiner Frau nicht entging, fügte verlegen hinzu: »Wahrscheinlich ist es eine Frage der Wahrnehmung.«
An jedem anderen Tag hätte sie sich mit ihm gestritten, denn sie wusste genau, was er meinte. Doch jetzt verkniff sie es sich und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Frühstück zu, köpfte das gekochte Ei und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
»Wie sehen deine Pläne für heute aus?«, erkundigte sie sich zwischen zwei Bissen Toast.
George stand auf und begann, im Schlafzimmer auf und ab zu gehen.
»Es ist dein Tag, also entscheide du. Du willst nicht in den Laden, oder?«
Jeanie schüttelte den Kopf.
»Jola hat alles im Griff. Weißt du was? Es ist so schönes Wetter; ich würde gern am Kenwood House picknicken.«
George nickte. »Gute Idee.«
»Wow! Du siehst atemberaubend aus … einfach
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