Donnerstags im Park - Roman
Was für ein großes Wort. In der Tat: Noch war nichts passiert, und es würde auch nichts passieren, sagte sie sich wie ein Mantra vor, doch mit jedem Mal schien die Behauptung schwächer und weniger überzeugend zu klingen.
»Können wir es nicht einfach genießen … und uns keine Gedanken machen …«
Diesmal versuchte sie nicht, seinem Blick auszuweichen.
»Nach elf; der Park ist geschlossen …«
Sie folgten der Straße, die am südlichen Ende des Friedhofs entlangführte.
»Wie kann es schon nach elf sein?« Jeanie schaute auf die Uhr. Unglaublich, sie hatten fünf Stunden miteinander verbracht, Stunden, die wie im Flug vergangen waren.
Sie war beschwipst, und die Dunkelheit fühlte sich kühl und anonym an.
»Küss mich«, sagte sie und wandte sich ihm zu.
Er schob sie sanft unter einen Baum, dessen Äste über die Friedhofsmauer hingen.
Auf das, was sie nun empfand, war sie nicht vorbereitet. Als seine Lippen die ihren berührten, schien eine Sehnsucht befriedigt zu werden, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte.
»Gott.« Es war eher ein Seufzen als ein Wort, das sie ihn flüstern hörte. »Du zitterst ja«, fügte er hinzu und schlang die Arme eng um ihren Körper.
»Überrascht dich das? Ich kann jetzt nicht nach Hause … Sonst merkt er’s …«
»Er liegt doch sicher schon im Bett, oder?«
Jeanie nickte. »Ich hatte völlig vergessen, wie spät es ist … Hoffentlich schläft er tatsächlich. Ich sollte lieber nach Hause gehen. Am Ende ruft er mitten in der Nacht Rita an.«
Sie schlenderten Arm in Arm den Hügel hinauf.
»Was hält Rita von der Geschichte?«
»Ach, Rita … Sie ist meine Freundin. … Du würdest sie mögen.«
»Sehen wir uns wieder, Jeanie?«, fragte er leise.
9
»Und?«, fragte Rita neugierig.
»Hmmm …«
»Wie war’s? Komm schon, Schätzchen, in allen Einzelheiten. Verschweig mir nichts.«
»Ich bin im Laden.« Jeanie ging in die winzige Küche, wo Jola sie immer noch hören konnte. »Reden wir später?«
»Wie kannst du mir das antun? Du weißt doch, dass ich keine Geduld habe.«
Jeanie musste lachen. »Bei Nero’s, in einer halben Stunde?«
»Ja.«
Rita sah sie erwartungsvoll an, als sie sich mit ihrem Cappuccino setzten. In dem kleinen Café war es heiß und voll wie immer. Mütter, vielleicht auch Kindermädchen, mit riesigen Buggies und herumwuselnden Kleinkindern verursachten angenehmes Chaos.
»Raus mit der Sprache«, forderte Rita Jeanie auf und klopfte auf den runden Holztisch.
»Gott, wo soll ich anfangen?« Jeanie erwiderte Ritas Blick verlegen. »Er ist wunderbar, wir … Ich weiß nicht … Bei uns stimmt die Chemie. Das hört sich an wie aus einem Kitschroman. Mit ihm ist alles so unkompliziert, wir haben stundenlang miteinander geredet.«
»Vergiss mal das Reden. Hat er dich geküsst?«
»Ja.« Jeanie wurde rot.
»Und?« Rita beugte sich vor.
Jeanie holte tief Luft. »Himmlisch.«
Ihre Freundin klatschte in die Hände. »Hurra … Das hast du dir verdient, Schätzchen.«
»Ja?«
»Klar. Bei einem Mann, der dir seit Jahrzehnten den Sex verweigert.«
»Seit einem Jahrzehnt.«
»Das ist Haarspalterei. Handelt es sich nur um Lust, oder bist du dabei, dich in ihn zu verlieben?«
»Ich kann nicht mal mehr zusammenhängend denken. Wir haben uns darauf geeinigt, es so zu nehmen, wie es kommt.«
Rita gab ein missbilligendes Geräusch von sich. »Mach mit dem Typen aus dem Park aus, was du willst, aber sag mir: Bist du in ihn verliebt?«
Jeanie begann zu weinen.
»Schätzchen, was ist denn los?« Rita griff nach ihrer Hand. »Ich wollte dich nicht bedrängen.«
»Es liegt nicht an dir, es ist nur … Keine Ahnung. Rita, ich bin verheiratet, mit George, einem anständigen Menschen. Aber Ray ist … wunderbar. Ich habe noch nie so viel für jemanden empfunden, nicht einmal für George, jedenfalls nicht auf diese Weise … Ich bin ratlos.«
Rita reichte ihr ein Taschentuch. »Ach, Schätzchen …«
»Was, wenn Ray bloß mit mir spielt? Was, wenn ich mich in ihn verliebe und er es nicht ernst meint? Ich weiß letztlich nichts über ihn, und es ist mir auch egal, aber angenommen … Angenommen, für ihn ist alles nur ein Scherz. Oder am Ende nicht? Ich kann George nicht verlassen mit meinen fast sechzig.«
Rita hob verzweifelt die Hände.
»Mein Gott, du bist ja besessen von diesem Gedanken. Was spielt dein sechzigster Geburtstag für eine Rolle? Liebe ist nicht ans Alter gebunden. Hast du denn das Gefühl, dass er mit dir
Weitere Kostenlose Bücher