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Donnerstags im Park - Roman

Donnerstags im Park - Roman

Titel: Donnerstags im Park - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Boyd
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erwartete.
    »Sie war so jung, Jeanie. Erst zweiunddreißig. Viel zu jung zum Sterben.«
    Jeanie nickte. »Ja.«
    Er verzog das Gesicht. »Ich sage dir das nicht, damit du Mitleid mit mir hast. Ich will dir erklären, dass ich Jess’ Tod, diesen Verlust, nicht sonderlich gut verkraftet habe. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren, zu trinken angefangen und die Setzerei vernachlässigt. Mike hat das eine Weile mitangesehen und mich dann ausgezahlt, weil das Unternehmen sonst den Bach runtergegangen wäre. Mit dem Geld konnte ich eine Weile leben, ohne zu arbeiten, und mich tagtäglich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken. Mein Gott, wie habe ich mich in meinem Leid gesuhlt.«
    »Verständlich.«
    »Ja, einen oder zwei Monate lang. Aber diese Phase hat sich zwei Jahre hingezogen. Manchmal bin ich nur aus dem Haus gegangen, um neuen Whisky zu besorgen. Vermutlich hätte es bloß noch ein paar Monate gedauert, bis meine Leber ruiniert gewesen wäre und ich wie Jimmy den Löffel abgegeben hätte.«
    Ray nahm Jeanies Hand, um sie, einen Finger nach dem anderen, zu streicheln.
    »Was ist dann passiert? Wie hast du dich wieder gefangen?«
    »Wahrscheinlich hältst du mich jetzt für verrückt: Ich glaube, das Universum hat mich gerettet.«
    Jeanie runzelte die Stirn. »Reden wir jetzt über Gott?«
    »Ich nenne es lieber das Universum. ›Gott‹ klingt nach organisierter Religion, mit der ich nichts am Hut habe. Sag dazu, wie du willst, meinetwegen auch Zufall. Ich war wie üblich völlig durch den Wind, betrunken, unrasiert, ausgemergelt, und sah wahrscheinlich aus wie ein Penner. Ich wollte zum Geldautomaten und bin an der Themse entlanggegangen. Zum Rasten habe ich mich auf eine Bank neben einen Mann gesetzt, der ziemlich alt war, vielleicht achtzig, sehr fit aussah und mich neugierig anstarrte.
    ›Was starren Sie so?‹, habe ich ihn angriffslustig gefragt, was ihn nicht zu stören schien.
    ›Ich starre einen Mann an, der am Ende ist‹, hat er ganz ruhig geantwortet.
    ›Und was geht Sie das an?‹
    ›Alles. Wenn ich jemandem begegne, den das Leben untergekriegt hat.‹
    Es war ewig her gewesen, dass jemand mit mir gesprochen hatte, abgesehen vielleicht von der Kassiererin im Supermarkt, und plötzlich spitzte ich die Ohren. Ich hatte niemanden, um den ich mich kümmern musste. Meine Eltern waren seit Jahren tot, mein Bruder war abgetaucht und in einem ähnlichen Zustand wie ich, meine Freunde hatte ich verloren.
    ›Ja, das Leben hat mich tatsächlich untergekriegt‹, musste ich zugeben. ›Aber das lässt sich nicht ändern.‹
    ›Ändern können Sie das nur selbst‹, sagte der alte Mann.
    Darüber musste ich lachen; es war ein grausames, zynisches Lachen.
    ›Genau. Nur ich selbst, und mir ist es scheißegal.‹
    Der Mann nickte. ›Das sehe ich.‹
    ›Bitte halten Sie mir keine Vorträge darüber, wie viel ich zu geben habe und wie wertvoll das Leben ist.‹
    ›Das würde mir nie einfallen. Aber eins möchte ich Ihnen sagen.‹
    Seine Meinung interessierte mich tatsächlich, obwohl mir alles egal war.
    ›Ich habe mich mein Leben lang mit der Suche nach dem Sinn beschäftigt. Wie Sie bin ich durch eine Phase des Selbstmitleids gegangen. Als ich am Tiefpunkt angelangt war, vielleicht sogar dem Ende nahe, hat ein Freund mir vorgeschlagen, ihn zu seinen Aikido-Kursen zu begleiten. Ich habe natürlich abgewunken. Kampfsport? Ich? Ich kam doch kaum noch aus dem Bett. Aber er gab nicht auf, tauchte vor meiner Tür auf und hat mich mitgeschleppt. Ich konnte mich fast nicht auf den Beinen halten, und meine Hände zitterten, aber ich blieb. Seitdem ist dieser Sport die Stütze meines Lebens, sowohl physisch als auch emotional.
    Ich würde es mir nie anmaßen, Ihnen sagen zu wollen, was Sie zu tun und zu lassen haben. Ich berichte nur über meine eigenen Erfahrungen.‹
    Mit diesen Worten stand er auf, ein groß gewachsener, stolzer Mann. Gern hätte ich mich weiter mit ihm unterhalten – ich hatte völlig vergessen, wie wichtig mir der Kontakt zu Menschen war –, aber mein dummer Stolz hinderte mich daran, ihn aufzuhalten. Eine ganze Woche lang bin ich immer wieder zu der Bank gegangen und habe auf ihn gewartet, ihn jedoch nie wieder gesehen. Es dauerte noch einen Monat, bis ich die Nummer der örtlichen Aikido-Schule heraussuchte. Den alten Mann habe ich dort nicht getroffen, aber das war nicht wichtig: Wie er habe ich nicht mehr zurückgeblickt.«
    Seine Augen wurden feucht.
    »Er hat mir das Leben

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