Donnerstags im Park - Roman
Behörden zu informieren.«
»Meinst du?«
»Ja. Er ist egoistisch, nicht böse. Dieser Egoismus hat ihn dazu verleitet, etwas Kindisches zu tun. Weiter hätte er die Sache nicht getrieben.«
Chanty lachte spöttisch. »Du verteidigst ihn und klagst ihn gleichzeitig an, Mum … Ganz schön clever.«
»Ich versuche wirklich nicht, clever zu sein. Aber seiner Selbstlosigkeit wegen hast du diesen Mann bestimmt nicht geheiratet.«
»Nein. Ich wusste immer, wie er ist, und vergebe ihm, weil ich keine unrealistischen Erwartungen hege.«
Warum hatte Chanty sich für einen solchen Mann entschieden?, fragte sich Jeanie. Er war nicht gerade das Ebenbild ihres Vaters.
Chanty bemerkte Jeanies Blick. »Das klingt schrecklich, oder?«
Jeanie nickte.
»Alex ist für mich nicht zweite Wahl, Mum. Ich liebe und verstehe ihn. Er hatte eine grässliche Kindheit. Sein Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als er vier war. Alex hat ihn erst mit sechzehn wiedergesehen, auf einen Kaffee in einer Raststätte an der A3. Sein Dad lebte inzwischen auf Guernsey und leitete ein gut gehendes Taxiunternehmen, hatte jedoch so große Angst vor seiner Exfrau, dass er Alex das Versprechen abnahm, ihr gegenüber nichts von dem Treffen zu erwähnen. Alex sagt, er mochte ihn und hätte in Kontakt bleiben wollen, aber sein Vater hätte sich nie wieder bei ihm gemeldet und auch nicht auf Alex’ Anrufe reagiert.« Chanty holte tief Luft. »Seine Mutter war ein Kontrollfreak. Sie hat jeden seiner Schritte überwacht, ihn ständig angefasst und gestreichelt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Schon als kleiner Junge meinte er, für sie verantwortlich zu sein. Wenn sie traurig war oder schlechte Laune hatte, fühlte er sich schuldig. Er musste ihr bei der Auswahl ihrer Kleidung helfen und ihr Komplimente für Figur und Aussehen machen. Sie hat sogar behauptet, er hätte ein schwaches Herz, damit er nicht zum Sport konnte und sie ihn die ganze Zeit bei sich behalten konnte.«
»Das erklärt vieles. Kein Wunder, dass er mir gegenüber so misstrauisch ist; wahrscheinlich erinnere ich ihn an seine Mutter. Warum hast du mir das nicht früher erzählt? Dann hätte ich ihn vielleicht besser verstanden.«
»Ich wusste das anfangs auch nicht. Er hat’s mir erst gesagt, als ich ihn gezwungen habe, eine Therapie zu machen. Sonst hätte ich ihn nach der Geburt von Ellie nicht zurückgenommen. Weißt du, was? Bis dahin hat er das nicht mal merkwürdig gefunden. Ihm war klar, dass sie ein sehr einnehmendes Wesen hat – wie du dir vorstellen kannst, hasst sie mich –, aber das war nun mal seine Realität. Manche Geschichten, die er mir in letzter Zeit erzählt hat, spotten jeder Beschreibung.«
Als Chanty Jeanies skeptischen Blick bemerkte, versicherte sie ihr: »Nein, Mum, die hat er sich nicht ausgedacht. Ich habe mit seiner Tante gesprochen. Sie hat während einer Krankheit seiner Mutter auf ihn aufgepasst – er war damals vierzehn – und mitgekriegt, was los ist. Ein Arzt hat sein Herz untersucht, und der Schwindel flog auf.«
»Er trifft sich nach wie vor mit ihr. Ihr wart letztes Weihnachten bei ihr.«
»Ja, das war’s dann aber auch schon, Mum. Es ist das einzige Mal im Jahr, dass er sie sieht – eine Stunde am Heiligabend. Eine Woche davor versinkt er in Depressionen und wird unausstehlich. Du weißt, dass sie trinkt. Wir gehen also bald wieder. Sie macht ihm Schuldgefühle und behauptet, die ›beste Mutter der Welt‹ gewesen zu sein. Der Besuch ist ein einziger Albtraum; sie kann sich nicht mal Ellies Namen merken. Letztes Jahr hat sie uns mitgeteilt, dass sein Vater schwul ist.«
Jeanie nickte lachend. »Ja, ich erinnere mich. Wahrscheinlich wirst du nie erfahren, ob das stimmt oder nicht.«
»Genau. Alex glaubt ihr nicht, weil sie ihn als Kind immer gegen seinen Vater aufhetzen wollte.«
»Und die Therapie?«
Chanty schüttelte den Kopf. »Er hat zwei Sitzungen gemacht und sich dann geweigert, weiter hinzugehen. Er sagt, seine Arbeit leide darunter.«
»Eine uralte Ausrede. Obwohl er recht haben könnte. Das Werk eines Künstlers speist sich einerseits aus erworbenen Fähigkeiten, andererseits aus seinen inneren Kämpfen.« Sie tätschelte die Hand ihrer Tochter. »Warum hast du eigentlich keinen Hirnchirurgen geheiratet, Liebes?«
»Meinst du, jemand, dem es nichts ausmacht, Löcher in fremder Leute Schädel zu bohren, hätte keine Macken?«
»Na schön. Aber wie wär’s beispielsweise mit einem Landschaftsgärtner? Oder
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