Donnerstags im Park - Roman
schmale Treppe hinuntergingen.
»Das brauchst du nicht. Mir geht’s gut. Nein, gut ist vielleicht zu viel: Ich komme zurecht. Mein jetziges Leben ist besser als eine Lüge.«
»Du musst den warmen Mantel anziehen.« Jeanie nahm den roten Parka mit der Kapuze vom Treppengeländer und hielt ihn Ellie hin, damit sie hineinschlüpfen konnte.
»Ich mag nicht … Ich will den blauen.« Ellie wich zurück.
»Draußen ist es eisig kalt, Liebes. Der blaue ist viel zu dünn, wenn wir beim Weihnachtsbaum Lieder singen wollen. Komm, zieh ihn an … Schnell, sonst verpassen wir das Beste.«
Ellie zögerte. Doch am Ende war der Reiz dessen, was sie draußen erwartete, stärker. Sie wehrte sich nicht länger.
»Wir gehen dann mal«, rief Jeanie nach oben, wo Chanty sich ausruhte. »So gegen sieben sind wir wieder da.«
»Vergiss die Karten nicht. Sie liegen neben der Haustür«, rief Chanty zurück. »Viel Spaß.«
»Dunkel«, stellte Ellie begeistert fest. »Gleich sehen wir den großen Weihnachtsbaum, Gin.«
»Und singen.«
Vor dem Eingang zu Lauderdale House drängten sich Eltern und Kinder mit vor Kälte und Vorfreude roten Gesichtern. Jeanie stellte den Buggy hinter der Tür ab und nahm Ellie an der Hand.
»Schön …«, rief Ellie aus, als sie um die Ecke bogen und den riesigen Baum mit den hellen Lichtern, dem Lametta, dem glitzernden Schmuck und dem großen schimmernden Stern an der Spitze sahen. Auf den Tischen entlang der Wand standen Glühwein und Fruchtsaft für die Kinder. Drei junge Frauen schoben sich mit Tabletts voll Würstchen, Senf und Tomatenketchup durch die Menge. Die vier jungen Musikerinnen, wahrscheinlich Studentinnen, warteten eingemummt in Jeans, Stiefel, Wollschals und farbige Mützen. Zwei stimmten ihre Geigen, eine hatte eine Klarinette, und die vierte setzte sich ans Klavier des Hauses, das im Innern, an der Terrassentür, stand, damit es durch die Kälte keinen Schaden nahm. Ellie aß schweigend ihr Würstchen und verfolgte mit großen Augen, wie alle die Notenblätter bereitlegten. Wenn Chanty doch dabei sein und ihre Tochter so hätte sehen können!
»Da ist Din«, verkündete Ellie plötzlich.
Jeanie drehte sich um. »Dylan … Wo, Liebes?«
»Da drüben.« Ellie zeigte es ihr. Und tatsächlich, er stand beim Weihnachtsbaum, hinter ihm, eine Hand auf der Schulter seines Enkels, Ray.
Jeanie versuchte vergeblich, ihre Panik zu unterdrücken. Die beiden hatten sie nicht bemerkt; sie konnte noch verschwinden. Doch Ellie zog an ihrer Hand.
»Komm, Gin … zu Din.«
Ray wirkte so schockiert, wie Jeanie sich fühlte. Einen Moment lang brachten sie kein Wort heraus.
»Hallo, Gin«, begrüßte Dylan sie lächelnd. »Toller Baum, was?«
»Ja, er ist wunderschön«, presste Jeanie zwischen Lippen hervor, die nicht nur von der Kälte eisig waren.
Ellie streckte die Arme nach Jeanie aus, was bedeutete, dass sie hochgehoben werden wollte.
Jeanie nahm sie auf den Arm, von wo aus sie Ray schüchtern anlächelte.
»Hallo, Hübsche«, begrüßte Ray sie und streichelte ihr kurz die Hand. »Lange nicht gesehen. Puh, ist das kalt.« Ray stampfte mit den Füßen auf und schlug die behandschuhten Hände aneinander, um Ellie zum Lachen zu bringen. »Dylan, geh mit Ellie nach vorn, damit sie besser sieht«, wies er seinen Enkel an.
Dylan nahm Ellie mit sehr erwachsener Miene an der Hand und führte sie durch die Menge nach vorn, direkt zu dem jungen, attraktiven Geistlichen.
Jeanie und Ray waren wie eine einsame Insel des Schweigens, als die Menschen rund um sie herum sangen, anfangs noch unsicher, dann immer selbstbewusster.
Jeanie hielt den Blick auf ihre Enkelin gerichtet.
»Wie geht’s dir?«, fragte Ray schließlich, ohne sie anzuschauen.
»Ich bin …«, begann sie. »Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll«, beendete sie den Satz nach einer langen Pause.
Sie hörte Ray kichern. »Und das war noch der leichte Teil.«
Sie musste ebenfalls lachen. Wenn sie doch nur genauso entspannt hätte sein können, wie er zu sein schien!
»Und du?«, fragte sie zurück und riskierte einen Blick auf ihn.
»Nichts Neues an der Front«, antwortete er achselzuckend.
»Ich habe dich vor einer Weile gesehen«, sagte sie – genau das, was sie sich vorgenommen hatte, nicht auszusprechen, falls sich je eine Situation wie die jetzige ergeben sollte.
Ray hob die Augenbrauen. »Wo?«
»Auf dem Hügel … im Regen.«
Er wartete, dass sie mehr sagte.
»Am Highgate Hill? Ich hab dich nicht bemerkt.
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