Donovans Gehirn
Zweigen saßen zwölf zwitschernde Spatzen – zwölf zwitschernde Spatzen saßen auf zwei sich spreizenden Zweigen ...«
Die Schmerzen hörten so rasch auf wie sie gekommen waren. Ich sah Janice, die sich ängstlich über mich beugte. Sie wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich schwamm wieder, von weicher Luft getragen. Sogar die Erinnerung an meine Schmerzen war weg.
Die Tür ging auf, und ein Arzt kam. Hinter ihm rollte eine Pflegerin einen Tisch mit Gläsern und Instrumenten herein.
»Hallo«, sagte er mit berufsmäßiger Heiterkeit. »Noch immer Schmerzen?«
Er füllte eine Spritze mit Morphium.
»Danke, ich brauche es nicht«, sagte ich fest.
Der Mann sah erstaunt aus. »So schnell kann der Schmerz doch noch nicht aufgehört haben«, sagte er.
»Ich bin selbst ganz überrascht«, antwortete ich und sah an meinem Körper bis zu den Füßen hinunter.
Nirgends fühlte ich etwas. Als wäre ich nur ein Hirn, spürte ich kaum meine Arme oder Beine, nicht einmal meinen verletzten Rücken.
»Würden Sie bitte meine Nervenreaktionen prüfen?«
Er stach mit einer Nadel in den Arm, aber ich empfand keine Schmerzreaktion. Mein Gefühl war das eines Patienten unter spinaler Anästhesie. »Sind Sie sicher, daß Ihre Diagnose richtig ist?« fragte ich.
Er hielt sie für richtig.
Ich schloß die Augen. Ich mußte mir klar überlegen, was mir geschehen war. Ich hörte den Arzt mit Janice flüstern und aus dem Zimmer gehen.
Sobald er fort war, bat ich sie, Schratt ans Telefon zu rufen. Sie zögerte, und ich mußte meinen Auftrag wiederholen.
Wenige Minuten später sprach ich mit Schratt.
»Nun, wie geht's, Patrick?« fragte er, erleichtert, meine Stimme zu hören. »Janice hat mir von dem Unfall erzählt.«
Janice stand am Fenster und wandte mir den Rücken zu.
»Ich wollte Sie fragen«, sagte ich langsam – ich wartete darauf, daß die Schmerzen jeden Augenblick wiederkehren könnten –, »ob sich das Hirn in den letzten achtundvierzig Stunden anders benommen hat.«
Zuerst antwortete er nicht. Schließlich sagte er: »Ich wollte Sie nicht beunruhigen, solange Sie krank sind ... aber es scheint Fieber zu haben. Ich kann nicht herausbekommen, warum. Die Temperatur steigt schnell und fällt dann, sobald es schläft, wieder auf normal.«
Plötzlich fielen mich die Schmerzen mit erhöhter Wut an. Ich glaubte sie nicht ertragen zu können. Selbst meine Schädelknochen schmerzten, als stieße eine Faust von innen dagegen.
»Wecken Sie das Hirn«, schrie ich ins Telefon. »Wecken Sie es auf! Klopfen Sie ans Glas! Erschrecken Sie es! Lassen Sie es nicht schlafen!«
Der Hörer fiel mir aus der Hand. Ich biß auf meine Unterlippe, bis mir das Blut den Mund füllte. Janice griff zur Morphiumspritze, aber der Schmerz verdunstete wie Dampf.
Ich nahm den Hörer wieder auf und hörte Schratt zum Telefon kommen.
»Jetzt ist das Hirn wach, Patrick. Die Lampe brennt.« Dann: »Was hat es Ihnen getan?«
Mein Kopf sank auf das Kissen. Ich wußte, was geschehen war, und versuchte es Schratt zu erklären.
»Es leidet meine Schmerzen, wenn es wach ist«, sagte ich mit Beherrschung, »es leidet statt meiner die Schmerzen. Es scheint meinen Thalamus durchdrungen zu haben. Seine Rinde empfängt jetzt die Reflexe meines Nervensystems. Die Schmerzen meines Körpers sind Erlebnisse in Donovans Großhirn. Es nimmt immer mehr von mir Besitz. Früher hat es nur meine Bewegungsnerven beherrscht, doch jetzt hat es den Teil meines Hirns in Besitz genommen, der den Schmerz registriert.«
Schratt atmete so laut, daß ich es hören konnte.
»Wenn es so fortfährt«, sagte er, »wird es bald Ihren Willen kontrollieren.«
»Nun, und wenn?« Ich versuchte leichthin zu sprechen. »Manche Menschen haben mehr für die Wissenschaft geopfert als ihre Identität.«
»Ja«, sagte er und hängte plötzlich ab.
Tastend legte ich den Hörer wieder auf den Haken.
»Jetzt werde ich mich ganz gut fühlen«, sagte ich zu Janice. Ich vergaß, daß sie unsere Unterhaltung gehört hatte. Schratts Stimme war so laut gewesen, daß auch sie sie vernehmen mußte.
Janice starrte mich an, ihre Augen waren groß vor Verzweiflung und Entsetzen. Ich hatte nicht gewußt, wieviel sie wußte, aber jetzt, da sie einige der Folgen verstand, konnte sie den Abgrund der Zerstörung ermessen, in den mich das Experiment geführt hatte.
Während der letzten Tage haben mich die Schmerzen weniger gepeinigt, aber ich bin immer noch in meinem Gipsgefängnis. Selbst wenn
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