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Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch

Titel: Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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ich schieben?« Aber das
habe ich mir verkniffen und stattdessen zu meinem Cousin gesagt: »Mensch, Charlie, jetzt hast du so einen tollen Wagen! Jetzt brauchst du nur noch das passende Land dafür.«
    Aber als Amerikaner ist mir recht bald in Deutschland aufgefallen, dass nicht nur die Autofahrer schnell fahren, sondern auch die Fahrradfahrer. Viele deutsche Fahrradfahrer sehen für mich aus, als würden sie für die Tour de France trainieren, anstatt ins Büro zu fahren. Sie tragen professionelle Kleidung, einen aerodynamischen Fahrradhelm und sitzen auf einem 5000,- Euro teuren Bike. Ich kann mir vorstellen, dass manche von ihnen sogar dopen — nur um das professionelle Feeling zu bekommen. In Amerika ist das Fahrrad eher ein Spielzeug als ein Verkehrsmittel. Viele sehen aus, als hätte man sie auf dem Flohmarkt gekauft. Die meisten haben außer einem Lenker, zwei Rädern und einer Bremse keine weiteren Extras.
    Aber deutsche und amerikanische Fahrradfahrer unterscheiden sich nicht nur in der Optik, sondern auch in der Geschwindigkeit.
    Deutsche Fahrradfahrer fahren so fucking schnell. So fucking schnell. Deshalb ist es auch klar, dass hier jeder aussieht wie ein zweiter Lance Armstrong. Hier gibt jeder Gas, hier gibt jeder alles! Nicht nur der durchtrainierte Sportler, sondern alle fahren in einem irren Tempo. Denn jede Sekunde zählt! Der Arzt muss rechtzeitig zur OP , der Schüler pünktlich in die Schule und die Rentnerin zügig zu ihrem Stück Kuchen.
    In meiner Anfangszeit in Deutschland war mir gar nicht bewusst, wie verdammt schnell deutsche Fahrradfahrer unterwegs sind. Ich habe dieses Tempo total unterschätzt.
    Früher stand ich zum Beispiel oft völlig ahnungslos auf einem Fahrradweg, ohne überhaupt zu wissen, dass ich auf
einem Fahrradweg stand. Und wenn ich dann ein »Ring, ring« hörte, dachte ich jedes Mal:
Oh, ein Fahrrad kommt!
Aber nach einer Weile musste ich feststellen: Nein, »Ring, ring« bedeutet nicht: Ein Fahrrad kommt! sondern: Das Fahrrad ist schon da!
    Heute fahre ich selbst Fahrrad. Zwar nicht so schnell wie der durchschnittliche Rentner, der zu seinem Kaffeekränzchen fährt, aber für einen Amerikaner ziemlich schnell. Und weil meine Deutschwerdung in diesem Punkt auch ziemlich stark vorangeschritten ist, habe ich mich mittlerweile der deutschen Fahrweise angepasst. Ich trödele nicht einfach rum, wenn ich mit meinem Fahrrad unterwegs bin, sondern fahre ziel- und zeitbewusst von A nach B. Und nicht nur das. Ich setze sogar meine deutsche Klingel ein, aber nur, wenn es absolut nötig ist, denn ich will so wenig Menschen wie möglich erschrecken. Allerdings fahre ich, das muss ich zu meiner Schande gestehen, genauso wie die deutschen Fahrradfahrer bei Rot über die Ampel. Ja, Fahrradfahren ist toll. Zum Beispiel merkt man in Berlin beim Radfahren erst, wie groß diese Stadt ist. Du steigst aufs Rad, fährst los und kommst drei Tage später an. Ich habe sogar herausgefunden, dass es in Deutschlands Hauptstadt insgesamt über 80 Kilometer Fahrradwege gibt.
    Aber so hoffnungslose Fälle, wie ich immer gedacht habe, sind wir Amerikaner anscheinend doch nicht. Amerika scheint bei diesem Thema wie ich deutscher und deutscher zu werden, denn heutzutage fahren viel mehr Leute in den USA mit dem Fahrrad als früher. Okay, vielleicht nicht so viele in New York City, wo man als Fahrradfahrer eher lebensmüde wäre. In Ohio oder Kansas auch nicht, wo man viel lieber mit dem Traktor fährt als mit dem Rad. Aber an der Westküste der USA , da ist, was das Fahrradfahren angeht,
echt was los. In San Francisco fahren zum Beispiel jeden Tag 40000 Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Eine irre Zahl, wenn man bedenkt, wie viele Hügel diese Stadt hat! Oje! Wenn ich jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fahren müsste, würde ich wahrscheinlich gar nicht erst ankommen.
    Oder nehmen wir zum Beispiel Davis, California. Diese Stadt ist so fahrradverrückt, dass der Schulbusbetrieb eingestellt werden musste, weil fast alle Kinder nur noch mit ihren eigenen Fahrrädern in die Schule fahren.
    Oder Portland, Oregon, das als Amerikas fahrradfreundlichste Stadt gilt, geht sogar noch einen Schritt weiter. Denn sie hat nicht nur unglaublich viele Fahrradwege, sondern liefert Radfahrern sogar eine eigene Infrastruktur. »Bike Central« ist ein Netzwerk von Dienstleistern, das vor allem Berufspendlern nicht nur Abstellmöglichkeiten für ihre Fahrräder anbietet, sondern auch Saunas, Whirlpools, Dusch- und

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