Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch
der WM 2006. Es wurde gefeiert, gelacht, gefiebert, gegrillt — und währenddessen überglücklich die Deutschlandfahnen geschwenkt. Am Anfang fragte man sich natürlich: »Darf man das?« Aber es hat nicht lange gedauert, bis man feststellte: »Ja, man darf!« Und zum ersten Mal seit meinem Umzug nach Deutschland hatte ich das Gefühl, dass die Fahne, die Deutschlandfahne von der Last der Geschichte, die sie ständig zu tragen hatte, richtig befreit wurde. Und das fand ich sehr schön. Ich weiß noch, wie ich die ganze Zeit gedacht hatte:
Es ist echt schade, dass es in Deutschland nicht immer WM gibt.
Patriotismus wird in Amerika nicht nur ab und zu gelebt, sondern tagtäglich. Wenn man zum Beispiel zu einer Profisportveranstaltung geht - sei es zum Baseball-, Basketball-, Football- oder Hockeyspiel -, stehen alle Besucher vor Spielbeginn auf und singen die Nationalhymne. Und nicht nur alle Zuschauer, sondern auch alle Spieler. Das heißt:
Jeder wendet sich zur großen Fahne, die im Stadium angebracht wurde und singt - mit der rechten Hand auf der linken Brust - unsere Nationalhymne. Wenn man bedenkt, dass eine typische Profibaseballmannschaft in einer einzigen Saison ganze 162 Spiele spielt und dabei jedes Mal die Nationalhymne gesungen wird, dann kann man sich vorstellen, wie oft Amerikaner für ihr Land die rechte Hand aufs Herz legen.
Hier in Deutschland erlebe ich oft das Gegenteil, wenn es um die deutsche Nationalhymne geht. Der eine singt leise, der andere summt und ein Dritter scheint überhaupt keine Ahnung zu haben, was los ist. Aber wenn es um die Italiener, Franzosen oder Engländer geht, dann wissen es alle.
Wenn die Italiener singen, hat man immer das Gefühl, dass sie vor lauter Rührung gleich anfangen zu weinen. Bei den Franzosen glaubt man, dass einer gleich schreien wird: »Schnell auf die Barrikaden, Kameraden, bevor es zu spät ist!« Und dann gibt es die Engländer, die so inbrünstig »God save the Queen« singen, dass man sich als Nicht-Engländer fragt:
»Save the Queen? Why does she need to be saved?«
Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern möchte man die Deutschen trösten, während sie ihre Nationalhymne singen nach dem Motto: »Keine Sorge, es ist ja gleich vorbei!«
Die amerikanische Nationalhymne wurde von dem Anwalt und Amateurpoet Francis Scott Key im Jahre 1814 geschrieben, als er von einem britischen Kriegsschiff aus zusehen musste, wie britische Truppen Baltimores Fort McHenry bombardierten und versuchten, es zu erobern. Der Bezug auf die amerikanische Fahne in seinem Gedicht kam dadurch zustande, weil er, wie er sagte, so erleichtert gewesen
war, am Morgen nach den britischen Angriffen immer noch die amerikanische Fahne am Fort wehen zu sehen. Er war sogar so erleichtert, dass er in den Morgenstunden des 14. September 1814 die Verse zum »Star Spangled Banner« schrieb.
Viele Amerikaner wissen nicht, dass die Melodie unserer Nationalhymne ausgerechnet von denen kam, die uns damals bombardiert hatten, von den Briten nämlich. Und nicht nur das. Sie war auch noch die Melodie eines Trinkliedes! Viele Amerikaner waren damals empört und meinten:
»But wait a minute! Our national anthem shouldn't be based on an English drinking song! If it's going to be based on a drinking song at all, it should be based on an American drinking song!«
Amerikas allgegenwärtiges, positives Patriotismusgefühl hat nicht nur was mit der Fahne oder Nationalhymne zu tun, sondern auch mit der »Pledge of Allegiance«, die die Schüler in den Vereinigten Staaten jeden Tag vor dem Unterricht gemeinsam aufsagen. Unsere Pledge of Allegiance ist eine Art Treuegelöbnis gegenüber der Nation und der amerikanischen Fahne, und sie lautet folgendermaßen:
»I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.«
Zu deutsch: »Ich schwöre Treue auf die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika und auf die Republik, für die sie steht, eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für jeden.«
Ich denke, wenn man so was in den deutschen Schulen einführen wollte, würde man sich vor Diskussionsrunden zu
diesem Thema überhaupt nicht mehr retten können. Anne Will, Maybrit Illner, Frank Plasberg, Michel Friedman, Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner und Günther Jauch würden alle sofort Sondersendungen bringen. Und Domian und Olli Geissen
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