Doppelgänger
Ihnen zu studieren.«
»Ich habe bei einem halben Dutzend der führenden Experten auf dem Gebiet der Meeres-Biologie Nachricht hinterlassen und sie gebeten, so bald wie möglich herauszukommen. Aber die meisten von Ihnen sind mindestens so alt wie ich. Nein, Chief Inspector, ich muss auf einer ständigen Bewachung bestehen, nicht nur übers Wochenende, sondern bis zu dem Zeitpunkt, wo man sie an einen anderen Ort bringt. Und bitte sorgen Sie dafür, dass wir den Schutzanzug bekommen, möglichst bevor diese Kreatur hier eintrifft.«
»Ich werde es versuchen.« Neville seufzte. »Es ist Ihnen sicherlich klar, dass es noch ein zweites Exemplar gibt, und nicht nur das in der Nervenklinik von Geddesley eingeschlossene. Ich muss es einfangen, bevor es Unheil anrichten kann.«
»Tom! Rasch! Sieh dir das an!« rief Netta und glitt von dem Hocker, auf dem sie gesessen und durch das dreitausendfach vergrößernde Mikroskop geblickt hatte.
Tom legte den Objektträger, auf dem er eine Gewebeprobe mit Thermal-Mikrotom präparierte, auf den Tisch und trat zu ihr. Die Fenster des Labors waren geöffnet, um den entsetzlichen Gestank von Fischblut und Phenol hinauszulassen. Einige Fliegen waren hereingesummt, um das Labor zu inspizieren, doch sie fanden den durchdringenden Geruch des aufgeschnittenen Fisches auf dem Seziertisch nicht besonders anziehend und surrten frustriert umher.
Tom adjustierte den Fokus des Mikroskops und blickte hindurch. Dann pfiff er leise durch die Zähne. Er hatte diese Gewebeprobe eben erst vorbereitet. Was er zu sehen erwartete, war ein normales, hauchdünnes Segment von Hautgewebe, ein unregelmäßiges Muster von Zellen mit klar erkennbaren Zellkernen. Statt dessen sah er eine zuckende Masse von Protoplasma, in dem sich dunkle Punkte bildeten und fast sofort wieder verschwanden.
»Nun?« fragte Netta.
»Es lebt also noch immer, zumindest auf der zellularen Ebene, und das nach einer ganzen Nacht in Phenol!« knurrte Tom. »Ein verdammt zähes Biest!«
»Ja, aber da war noch etwas anderes. Vielleicht bist du zu spät gekommen, um den endgültigen Zusammenbruch der Zellwände zu sehen, aber ich habe ihn gesehen.« Netta strich mit einer müden Geste ihr blondes Haar zurück. »Dieses Ding muss seinen speziesbezogenen genetischen Kode irgendwo speichern, nicht wahr? Wenn nicht, würde es sich vollständig und in jeder Beziehung in die Lebensform verwandeln, die es in sich aufnimmt, und sich von da an in der dieser Lebensform eigenen Art ernähren und vermehren. Korrekt?«
Tom nickte. »Ich weiß, was du sagen willst. Selbst die Chromosomen scheinen in dem Miniatur-Eintopf, der hier unter dem Mikroskop liegt, auseinanderzubrechen.« Und nach ein paar Sekunden setzte er hinzu: »Es könnte natürlich Teil eines Auflösungsprozesses sein, nicht wahr?« Aber seine Stimme klang nicht sehr überzeugt.
»Nein«, sagte Netta entschieden. Sie zog eine Zigarette aus einem Päckchen und zündete sie an. »Ich glaube, ich weiß, was passiert«, sagte sie dann nachdenklich. »Diese Kreatur muss sämtliche Teile ihrer Beute, einschließlich der Knochen, innerhalb von Sekunden auflösen und sofort rekonstituieren. Sonst könnte sie von einem erheblich größeren Lebewesen geschluckt werden, während sie sich in diesem form- und hilflosen Zustand befindet, und ein längeres Verweilen im Verdauungstrakt eines Wals und eines Kraken wäre vielleicht sogar für dieses verdammt zähe Biest, wie du es ausgedrückt hast, etwas zuviel.«
»Vielleicht wird sie von der Säure, die sie ausscheidet, geschützt«, erwiderte Tom. »Das Zeug, das Paddys Hand aufgelöst hat, muss im Wasser noch in einer beträchtlichen Entfernung wirksam sein und könnte größere Fische abschrecken.«
»Das wäre eine Möglichkeit, aber vielleicht muss sie mit ihrer Säure haushalten und darf nicht mehr davon verwenden, als unbedingt nötig ist«, sagte Netta. »Wenn sie sich in eine neue Form umwandelt, muss sie die Produktion von Säure sofort einstellen, denn sonst würde sie die neuen Zellen so rasch auflösen wie sie sich bilden, oder nicht?«
»Ja, ich glaube, du hast recht. Außerdem würde sie nicht mehr von dieser Substanz verwenden, als unbedingt nötig ist.«
»Genau.« Netta blickte wieder durch das Mikroskop und konnte das Schaudern, das sie dabei empfand, nicht ganz unterdrücken. »Also muss sie … eine Art ›filterbare Chromosomen‹ haben, etwa wie filterbare Viren, die durch die Zellwände des Opfers eindringen und es
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