Doppelgänger
aufgeklappt wie ein Buch auf der Tischplatte lag.
Nevilles Gesichtsausdruck ließ deutlich erkennen, dass er solche wilden Geschichten nicht mochte, und schon gar nicht, wenn junge Leute wie Bruno und seine Gruppe darin verwickelt waren. Selbst Cress’ Erklärung, wie die Maske entstanden war, ließ ihn völlig kalt. Tom und Netta aber schienen davon beeindruckt und machten keinen Hehl daraus.
»Bitte, Bruno«, sagte Tom, »noch einmal von vorn, damit keine Unklarheiten bleiben. Der Mann kam also aus dem Wasser. Würden Sie sagen, widerwillig?«
»Richtig«, antwortete Liz, bevor Bruno etwas sagen konnte. »Als ich ihn sah, habe ich ihn zuerst für einen verletzten Hund gehalten.«
»Das passt genau«, sagte Netta. »Wenn dies die erste … Einkreuzung landbezogener Erinnerungen war … und Sie sagen, er hat nicht geatmet?«
»Bestimmt nicht«, sagte Bruno. »Ich hatte meinen Arm um ihn gelegt, und ein Mensch in seiner Situation hätte gekeucht und um Luft gerungen.«
»Und dann, als er zu Boden gefallen war«, fuhr Glenn fort, »kam ein richtiger Wasserstrahl aus seinem Mund. Pfui Teufel!«
»Es passt alles!« sagte Tom und schlug seine Faust in die Handfläche. »Es hat den Leichnam des Piloten gefunden, bevor der zu stark verwest war, ihn übernommen, und wurde von den Erinnerungen, die es mit ihm erworben hatte, dazu gedrängt, aus dem Wasser an Land zu steigen. Doch als es das Ufer erreichte, geriet es in einen furchtbaren Kampf zwischen seinen eigenen Erfahrungen und denen seines Opfers, und es hielt sich so lange durch in Wasser gelösten Sauerstoff am Leben, bis es diese Reserve durch den Sturz unfreiwillig von sich gab und nun gezwungen war, sich auf normale Atmung umzustellen. Mein Gott, wenn ich mir die Schmerzen vorstelle, als es zum ersten Mal die harte Luft in das neu gebildete Lungengewebe zog …«
»Falls es Schmerzempfindungen in unserem Sinne hat«, warf Dr. Innis ein. Er sah sehr müde aus. Weder er noch die Reedwalls hatten in der vergangenen Nacht mehr als eine Stunde geschlafen. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein könnte. Im evolutionären Sinn spielen Verletzungen nur insofern eine Rolle, als sie die Jagd nach Beute behindern.«
Es entstand eine unbehagliche Pause. Branksome brach sie, als er sagte: »Ich denke, wir schulden diesen jungen Leuten eine Erklärung, Sir. Wenn wir ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten, als sie ihre erste Beobachtung meldeten, hätten wir Miss Beeding und Stevens vielleicht retten können – und Ryans Hand.«
»In Ordnung«, stimmte Neville zu und wandte sich an Tom. »Würden Sie das bitte übernehmen?«
Als Tom zu Ende gekommen war, herrschte betroffenes Schweigen.
»Jesus! Und ich wollte ihm anbieten, ins Auto zu steigen!« rief Bruno entsetzt.
Gideon sagte nichts. Er starrte nur auf seine Hände, als ob er sich vorzustellen versuchte, wie er sich fühlen mochte, wenn ihm dasselbe passieren würde, was Ryan geschehen war.
Es entstand wieder eine Pause.
»Sehr klar und ausführlich, Dr. Reedwall«, sagte plötzlich eine spöttische Stimme. »Gratuliere.«
Sie fuhren herum. In einem der offenen Fenster des Labors lehnte Leigh-Warden, Bleistift und Notizblock in den Händen. Die aufgeschlagene Seite war mit stenografischen Aufzeichnungen bedeckt, einem wortwörtlichen Protokoll von allem, was Tom gesagt hatte.
Neville wollte ihn anbrüllen, ließ es dann aber und sagte ruhig: »Und was beabsichtigen Sie mit den Früchten Ihrer Lauschaktion anzufangen?«
»Dreimal dürfen Sie raten«, sagte Leigh-Warden grinsend.
»Sie werden nichts damit anfangen«, sagte Neville. »Sie haben mir gerade geholfen, zu einem Entschluss zu kommen. Ich habe seit gestern morgen über diese Frage nachgedacht, aber das, was Dr. Reedwall eben gesagt hat, brachte die Entscheidung. Sie werden nicht ein Wort davon in die Zeitung bringen!«
»Und wie wollen Sie mich daran hindern?« konterte Leigh-Warden, aber er schien beunruhigt.
»Diese Sache ist zu brisant, um so weitergeführt zu werden, wie wir es bisher versucht haben«, erklärte Neville. »Ich werde alles riskieren. Ich gehe jetzt zum Telefon und werde Truppen um Hilfe rufen, und selbst, wenn ich zu einer Lüge greifen muss, sorge ich dafür, dass dies Unternehmen unter Kode D gestellt wird. Sie können von einer Jagd auf einen Mörder berichten, wenn Sie wollen, aber nicht mehr. Wenn Sie auch nur ein einziges Wort über die wirklichen Zusammenhänge in Druck bringen, lösen Sie
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