Doppelspiel
Sir.«
»Wie fühlst du dich?«
»Nicht schlecht.«
Der kleine Mann war zäh; das konnte Kuchin nicht leugnen. Selbst wenn sein Arm nur noch an einem Fetzen Fleisch hing, würde er vermutlich höchstens nach einem Aspirin fragen.
Ja, er ist wirklich zäh … wie sein Vater .
Die Affäre war kurz, aber erinnerungswürdig gewesen. Kuchin hatte Urlaub in Griechenland gemacht. Es war eine Belohnung für die gute Arbeit gewesen, die er in der Ukraine geleistet hatte. In herrlichstem Sonnenschein, wie er ihn in der Sowjetunion noch nie gesehen hatte, hatte Fedir Kuchin mit einer Frau geschlafen und ein Kind mit ihr gezeugt. Kuchin war zwar nicht bei der Geburt dabei gewesen, aber er hatte seinem Sohn den Namen gegeben. Pascal war ein schöner französischer Name, und auf Latein hatte er einen Bezug zu Ostern und auf Hebräisch zum Passahfest. Kuchin hatte den Jungen zu Ehren seiner französischen Mutter so genannt, die überdies auch noch als Jüdin geboren worden war, auch wenn sie schon in jungen Jahren zum Katholizismus konvertiert war. Kuchin hatte nie jemandem von ihrer Abstammung erzählt wie auch nicht von ihren religiösen Überzeugungen. In den Kreisen der Mächtigen hätte das nicht sonderlich gut ausgesehen, zumindest nicht in der UdSSR.
»Du machst gute Arbeit, Pascal«, lobte Kuchin. Wie er es manchmal tat, suchte er im Gesicht des Mannes nach einem Hauch von sich selbst. Kuchin hatte seinen Sohn als Söldner durch die ganze Welt geschickt. Pascal war von einigen der besten Militärs ausgebildet worden, die es gab. Er hatte im Kosovo gekämpft, in Bosnien, in Honduras, in Kolumbien und in Somalia, und stets war er mit einem Lächeln auf dem Gesicht zu seinem Vater zurückgekehrt und mit neuer Erfahrung in seiner DNA. Kuchin hatte ihm auch selbst das ein oder andere beigebracht und dabei sogar so etwas wie väterlichen Stolz empfunden, wenn auch nicht viel. Pascal war immerhin nur ein Bastard. Aber er war auch Kuchins einziger Nachkomme. Zwar war Pascal nicht klug genug, um das Geschäft zu führen, aber er konnte jene beschützen, die es taten.
»Danke, Sir. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie noch etwas brauchen.«
Pascal ging wieder, und Kuchin rieb sich die Narben an seinem Handgelenk. Sie stammten von einer 10-Pfund-Angelschnur, die sich so tief in sein Fleisch gegraben hatte, dass sie für immer sichtbar bleiben würde. Damals war er noch ein Kind gewesen, und so hatte sein Vater ihn Gehorsam gelehrt. Für gewöhnlich waren diese Lektionen von betrunkenen Schreien und Faustschlägen begleitet gewesen. Stundenlang hatte sein Vater ihn damals mit der Schnur an einen Balken gebunden, sodass die kleinen Füßchen kaum den eisigen Boden berührt hatten. Irgendwann war Kuchin dann zusammengebrochen und die Achillessehnen gerissen.
Auch auf seinem Rücken waren die Spuren dieser brutalen Erziehung noch zu sehen. Ein Gürtel, ein Riemen, eine Angelrute, all das hatte seine kindliche Haut zerfetzt, und es hatte gebrannt, als wäre ein ganzer Wespenschwarm über ihn hergefallen. Das war alles, was Kuchins Vater seinen einzigen Sohn gelehrt hatte.
Seine geliebte Mutter hingegen hatte stets für ihn gekämpft und ihren wesentlich größeren Ehemann sogar angegriffen, der seine beeindruckende Erscheinung an den Sohn vererbt hatte. Und für diese Liebe zu ihrem Sohn war Kuchins Mutter sogar noch grausamer bestraft worden als ihr Kind. Stundenlang lagen sie nach diesen Misshandlungen auf dem Boden, hielten sich in den Armen, teilten ihre Tränen und redeten leise Französisch miteinander, sodass ihr Vater und Ehemann sie nicht hören konnte, denn das hätte ihn nur noch mehr in Wut versetzt.
Kuchin hatte Alan Rice und später Janie Collins angelogen, wie auch immer sie wirklich heißen mochte. Sein Vater war nicht in Roussillon verunglückt. Tatsächlich war Kuchins Vater nie in Roussillon oder auch nur in Frankreich gewesen. In jener Zeit hätte eine arme ukrainische Familie vom Land weder das Geld gehabt noch die Erlaubnis bekommen, um ins Ausland zu fahren. Tatsächlich hätten sie es noch nicht einmal bis zur Grenze geschafft. Sie hatten weder gültige Papiere noch einen anerkannten Grund besessen, die Sowjetunion zu verlassen. Hätte man sie erwischt, sie wären standrechtlich erschossen worden, und ihre Leichen hätte man zur Abschreckung für andere wie Müll auf einen Laster geworfen. Und Kuchin musste zugeben, dass diese Art der Abschreckung hervorragend funktioniert hatte. Später hatte er diese
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