Doppelspiel
Methoden selbst praktiziert.
Erst als er im KGB aufgestiegen war, waren einem treuen Genossen wie ihm Auslandsreisen gestattet worden. So hatte er auch eine Sondererlaubnis erhalten, seine Mutter in ihre Geburtsstadt zu begleiten. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon stark gealtert, und sie hatte nur noch wenige Jahre vor sich gehabt. Das alte Haus hatte leer gestanden, und Kuchin war es irgendwie gelungen, genug Geld aufzutreiben, um es für sie zu kaufen. Dort hatte sie dann noch fünf glückliche Jahre verbracht, bis sie schließlich gestorben war. Kuchin hatte sie besucht, wann immer er konnte. Sie hatte ihn dann immer bei einem französischen Namen gerufen, und zu guter Letzt hatte sie sogar geglaubt, das sei sein richtiger. Hätte irgendjemand sonst ihn so genannt, Kuchin, ein glühender Sowjet, hätte ihn an Ort und Stelle erschlagen; doch wenn seine alte Mutter das tat, dann hatte er nur gelächelt, genickt und eine Träne verdrückt und ihre knöcherne Hand gehalten. Kuchin hätte alles getan, um seiner geliebten Mama ein wenig Frieden zu bereiten.
Kuchin blickte zum Fenster hinaus und zu der nicht allzu weit entfernten Küste. Doch er lauschte nicht auf die Geräusche der Natur, sondern auf das von Gummisohlen auf dem Kies vor der Tür. Er schaute auf seine Uhr. Alan Rice müsste in knapp zwanzig Minuten hier sein. Kuchins Blick wanderte wieder zum Wasser, und eine andere Erinnerung keimte in ihm auf. Diesmal war es eine glückliche.
Das Asowsche Meer war natürlich viel zu flach für seinen Plan gewesen. Deshalb hatte ein erwachsen gewordener und sehr starker Kuchin, der inzwischen auch ein geschätztes Mitglied des gefürchteten Komitet Gosudarstvennoj Bezopastnosti geworden war, des KGB, vor mehreren Jahrzehnten seinen Vater aus seiner Hütte und auf ein Boot geschleppt und war dann zum tiefen Wasser hinausgefahren. Durch die Straße von Kertsch war es ins Schwarze Meer gegangen, das mehr als zehnmal so groß war wie das Asowsche. Und wichtiger noch: Hier maß der tiefste Punkt über zweitausend Meter.
Kuchin hatte das Boot angehalten, und dann hatten er und drei seiner Kameraden den alten Mann mit der stärksten Angelschnur gefesselt, die sie hatten finden können. Vor lauter Entsetzen waren die Augen des alten Kuchin immer größer geworden, als er erkannt hatte, was mit ihm geschah. An der Schnur und den Stahlkabeln, die sie Kuchin senior um den Kopf gewickelt hatten, waren zwei schwere Metallfässer befestigt gewesen, die bis oben hin mit Sand gefüllt waren. Die Methode war äußerst beliebt bei den sowjetischen Sicherheitskräften, wenn es darum ging, jemanden unauffällig loszuwerden. Tatsächlich gab es sogar einen Spitznamen dafür: ›die goldenen Schuhe‹.
Kuchin hatte seinem Vater ein letztes Mal in die Augen geschaut. Jetzt hatten sich die Rollen umgekehrt. Der Große war jetzt der Kleine, und das Kind war nun ein starker Mann, der mehr als fähig dazu war, das Monster zu bestrafen, das ihn so lange gepeinigt hatte. Kuchin redete in zwei Sprachen mit ihm. Zuerst sagte er ein paar Worte auf Französisch, wovon er wusste, dass der alte Mann sie verstand. Dann redete er auf Ukrainisch weiter, und das verstand der Bastard ohnehin.
Schließlich wuchteten die vier Männer die Fässer über die Reling, und wenige Sekunden später spannten sich die Kabel, und der alte Mann flog schreiend über Bord. Kuchin übernahm das Steuer und fuhr auf demselben Weg wieder zurück, den sie gekommen waren. Nur einmal schaute er zu der Stelle zurück, wo der Mann, der ihn so lange gequält hatte, gerade sein Leben aushauchte. Dann dachte er nie mehr an ihn.
Der SUV kam in Sicht. Alan Rice war hier.
Jetzt war es für Fedir Kuchin an der Zeit, einen neuen Feind zu jagen, der ihm Leid zufügen wollte.
Kapitel zweiundsiebzig
S ie haben doch nicht das Firmenflugzeug benutzt, oder?«, fragte Kuchin.
»Nein. Wie Sie gesagt haben, habe ich im Namen einer unserer Briefkastenfirmen ein Flugzeug gemietet. Niemand kann das zu Ihnen oder mir zurückverfolgen.«
»Und Sie sind auch außerhalb der Stadt in einem sicheren Unterschlupf geblieben?«
»Ja. Genau wie Sie befohlen haben. Ich habe sämtliche Geschäfte über eine sichere Leitung abgewickelt.« Er hielt kurz inne. »Glauben Sie, diese Leute sind auch hinter mir her?«
»Nein, sie haben es nur auf mich abgesehen, aber Sie können sie zu mir führen. Ich hätte Sie also entweder töten oder verstecken können, und ich habe mich für Letzteres
Weitere Kostenlose Bücher