Doppelspiel
Rhône, der in dieser Gegend natürlich sehr beliebt war. Italienische Weine bekam man hier jedoch so gut wie gar nicht, dachte Shaw und grinste. Sein Lächeln verschwand jedoch, als sie hereinkam. Obwohl es in diesem Teil der Stadt nur so von Touristen wimmelte, wusste Shaw sofort, dass das die Amerikanerin sein musste, von der die Maklerin gesprochen hatte: jung, hübsch und wohlhabend.
Die Frau war Ende zwanzig und hatte blondes Haar, was jedoch nicht ihre natürliche Haarfarbe zu sein schien. Ihre Haut war braun gebrannt mit ein paar Flecken auf den Schultern so groß und dunkel wie Kaffeebohnen. Sie trug ein Sommerkleid mit V-Ausschnitt, der tief genug war, um den Brustansatz zu sehen, und ihre langen, schmalen Füße steckten in Ledersandalen. Shaw sah sie nur im Profil, als sie sich von einem Kellner zu ihrem Tisch führen ließ. Doch als sie die Tasche auf den Stuhl neben sich stellte, drehte sie sich kurz zu ihm um.
Shaw hatte das Gefühl, als stimme plötzlich die Koordination zwischen Augen und Gehirn nicht mehr, als hätte sein Verstand eine andere Information von den Augen erwartet. Dabei wusste er noch nicht einmal, was genau er erwartet hatte. Das Gesicht der Frau war nicht perfekt. Ihre Nase war zu lang, zu schmal und ein wenig zu krumm, die Augen nicht ganz symmetrisch und die Wangen etwas zu flach. Doch irgendwie machten all diese kleinen Mängel ihr Gesicht bemerkenswerter, als wenn es makellos gewesen wäre. Besonders im Süden Frankreichs waren schöne Frauen nicht gerade Mangelware, doch wenn hier eine zwar schön war, aber nicht ganz dem Standard entsprach, machte sie das häufig unvergesslich.
Und sie trieb offensichtlich Sport. Die Schultern waren gut entwickelt, die Beine lang und definiert und die Unterschenkel besonders muskulös, als wäre sie ihr ganzes Leben lang viel bergauf gelaufen. Durch ihre Schlankheit wirkte sie größer, als sie tatsächlich war. Shaw schätzte sie auf fünf Fuß sieben. Das war schon nicht schlecht, doch im Vergleich zu Shaw mit seinen sechs Fuß sechs war jeder mit Ausnahme von professionellen Basketballspielern klein.
Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wurde Shaw klar, was ihm so ungewöhnlich an der Frau erschien. Trotz ihres offensichtlich jungen Alters wirkte sie irgendwie alt … nicht körperlich natürlich.
Für so einen jungen Menschen ist sie viel zu ernst .
Shaw hatte seine Mahlzeit zwar schon längst beendet, doch seine Neugier verleitete ihn dazu, noch ein wenig zu bleiben; also bestellte er sich noch einen Kaffee und ein Erdbeersorbet. Ein-, zweimal glaubte er, dass die Frau kurz in seine Richtung schaute, aber vielleicht war das auch nur Einbildung. Schließlich bezahlte er, stand auf und ging. Hätte er sich noch einmal umgedreht, dann hätte er gesehen, dass die Frau ihn tatsächlich bemerkt hatte. Sie schaute ihm sogar noch hinterher, als sich die Tür schon längst hinter ihm geschlossen hatte.
Shaw ging ein Stück die Straße hinunter; dann duckte er sich in den Schatten und blickte zum Restaurant zurück. Zwanzig Minuten später kam die Frau heraus, schaute sich um und machte sich auf den Weg in Richtung der unten gelegenen Villen. An einer Stelle nahm sie sogar eine kleine Abkürzung, was verriet, dass sie sich schon recht gut in Gordes auskannte.
Shaw folgte ihr und fragte sich, wo sie wohl wohnte. Überrascht sah er, dass sie sich der Villa neben Wallers näherte, die Tür aufschloss und hineinging. Und sie hatte sich auch nach Wallers Villa erkundigt. Frank mochte ja nichts über die Frau herausgefunden haben, aber es war wohl klug, sie im Auge zu behalten. Shaw mochte keine Überraschungen.
Kapitel neunzehn
A m nächsten Tag fuhr Shaw fünfzehn Kilometer und traf sich mit Amy Crawford an den Ruinen eines alten Forts auf einem Hügel. Crawford war geradezu winzig. Sie reichte Shaw kaum bis zur Brust. Aber er wusste, dass sie mehrere Kampfsportarten beherrschte, Marathon lief und problemlos mit bloßen Händen töten konnte. Doch es waren nicht ihre körperlichen Fähigkeiten, mit denen sie Shaws Aufmerksamkeit erregt hatte, sondern ihre Coolness im Feld. Deshalb hatte er sie auch für sein Team ausgewählt.
Getrennt fuhren sie zu dem alten Steinbruch, wo die Höhlen von Les Baux lagen, und schlossen sich einer Führung an. Shaw hatte eine Minikamera an seinem Hemd und nahm alles auf, um es später zu analysieren.
Auf dem Weg zurück zu den Wagen bemerkte Crawford: »Schön, wieder mit Ihnen zu
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