Doppelspiel
zerstört. Die sogenannten Schwarzen Bilder waren albtraumhaft, und eine Serie von in der Aquatintatechnik angefertigten Bildern mit dem Titel Die Katastrophen des Krieges war ebenso erschreckend. Danach kam ein Bild mit dem Titel Saturn verschlingt seinen Sohn . Es zeigte eine monströse, entstellte Kreatur, die einen kopflosen, blutigen Torso fraß.
»Ob sie einem wohl ein kostenloses Valium geben, wenn man hier wieder rausgeht?«, bemerkte Shaw halb im Scherz.
»Es ist wichtig, dass man sich das ansieht«, sagte Reggie.
»Warum das denn?«
»Wenn wir uns das nicht ansehen, dann werden wir immer wieder die gleichen Fehler begehen. Krieg, Mord, Elend … alles von Menschenhand gemacht und alles vermeidbar.«
»Nun ja, wir scheinen so oder so immer die gleichen Fehler zu begehen.«
»Warst du beim Militär?«, fragte Reggie plötzlich.
»Nein.« Und mit todernstem Gesicht fügte Shaw hinzu: »Paintballturniere im College waren alles an ›Kampf‹, was ich je mitbekommen habe.«
»Dann hast du Glück gehabt.«
»Jippie.«
Das letzte Bild war der Hofstaat mit Irren . Reggie erklärte, dass dieses Gemälde die unglücklichen Patienten in einem Irrenhaus des 19. Jahrhunderts zeige. Stocksteif starrte sie das Bild an. Als Shaw zu ihr blickte, sah er eine Träne auf ihrer Wange.
»Hey, Janie, vielleicht sollten wir jetzt besser wieder in die Sonne raus und in Saint-Rémy was essen.«
Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Als Shaw sie jedoch an der Schulter berührte, zuckte Reggie zusammen und drehte sich wieder zu ihm um. Ihre Augen waren rot und feucht.
Shaw wählte seine nächsten Worte vorsichtig. »Kennst du jemanden – ich meine natürlich nicht an so einem Ort –, aber jemanden, der … der Probleme hat?«
Reggie antwortete ihm nicht darauf, sondern drehte sich einfach um und ging wieder zurück. Vor dem ersten Bild in der Ausstellung blieb sie wieder stehen: Die nackte Maja . Die nackte Brünette lag auf einer Chaiselongue, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
»Ich muss sagen, das entspricht schon eher meinem Geschmack«, bemerkte Shaw. »Zumindest ist es besser als die fleischfressenden Monster da hinten.«
»Es ist schon erstaunlich, wie sie diese Bilder an den Wänden ausstellen.« Reggies Augen waren wieder trocken und ihre Stimme normal.
»Nun ja, vermutlich machen sie das ganz einfach mit Computern und einem Beamer.«
»Das geht wirklich so einfach?«
»Ich denke schon, aber ich bin kein Experte.« Er lächelte. »Warum? Planst du eine eigene Ausstellung?«
Reggie schaute ihn seltsam an. »Man weiß nie.« Dann hakte sie sich bei ihm unter. »Was ist jetzt mit dem Essen?«
Auf dem Weg kamen sie an einer alten Festung vorbei, die aus dem Berg herausgehauen worden war. Reggie deutete zu ihr hinauf. »Das ist die Königsburg. Sie ist einfach aus dem Fels gehauen worden, ein perfektes Verteidigungsbollwerk.«
»Okay, jetzt muss ich mal fragen: Warst du beim Militär?«, sagte Shaw.
»Ich lese einfach viel. Und zu meinem Intensivkurs in Französisch hat auch ein historischer Überblick über die Provence gehört. Die Burg hat das Königstal dort unten beherrscht und war der hiesige Fürstensitz.«
»Die Herrschenden sind immer oben und alle anderen unten. Ohne diese Trennung von Oben und Unten herrscht Anarchie. Das gilt auch für eine Demokratie.«
»Das war ja richtig philosophisch, Bill.«
»Ich habe so meine Momente.«
Sie aßen auf der Terrasse eines kleinen Cafés in Saint-Rémy. Anschließend besuchten sie noch den Papstpalast in Avignon und gerieten auf dem Weg zum Auto in einen unerwarteten Schauer. Lachend rannten sie durch den Regen und erreichten klatschnass die Tiefgarage. Shaw hatte sein Jackett als Regenschirm für sie beide missbraucht.
»Das ist der Grund, warum ich die großen Jungs so mag«, scherzte Reggie und schaute zu dem Jackett über ihrem Kopf hinauf.
Als sie schließlich wieder in Gordes ankamen, waren ihre Haare und Kleider schon fast trocken. Reggie hielt vor Shaws Hotel, und im selben Augenblick summte ihr Handy zum Zeichen, dass sie eine SMS bekommen hatte. Reggie holte es aus der Tasche, schaute aufs Display und steckte es dann kommentarlos wieder weg.
»Lass mich raten«, sagte Shaw. »Waller will wissen, wo du den ganzen Tag gewesen bist.«
»Du bist wohl eifersüchtig.«
»Nein, ich bin nicht so besitzergreifend; aber ich denke, von ihm kann man das nicht behaupten.«
»Ich habe es dir schon mal gesagt: Du kennst ihn doch gar
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