Dorn: Roman (German Edition)
hatte. Lediglich Erlenfang hing in seiner Scheide quer über meinem Rücken. Ganz egal, wann und wo ich in diesem zornigen Krieg sterben würde, ich würde es mit jenem Schwert in der Hand tun, das in unserer Familie schon seit Generationen weitervererbt wurde.
Ich hatte mich wieder halbwegs in der Gewalt.
Lia und Lemander suchten mich auf, nachdem sie in Erfahrung gebracht hatten, wo man mich zuletzt gesehen hatte. Wenigstens sie waren unversehrt. Brimbart hatte sie wie befohlen aus der Schlacht rausgehalten. Aber auch sie würden am morgigen Tag ihr Leben verteidigen müssen, dessen war ich mir sicher.
»Deckard«, sagte Lia erleichtert, als sie mich erspähte. Sie schob einige Nordleute zur Seite und eilte zu mir herüber, um sich neben mich auf die breiten Stufen zu setzen und mich kurz zu drücken. Niedergeschlagen, wie ich war, machte ich keine Anstalten die Herzlichkeit zu erwidern. Stattdessen biss ich mürrisch in meinen Brotkanten, der von fettigem Eintopf triefte.
»Du siehst geschafft aus«, stellte sie überflüssigerweise fest.
»Mir tut alles weh«, gestand ich, nachdem ich geschluckt hatte. »Aber das spielt keine Rolle mehr. Am morgigen Abend sind wir ohnehin alle tot.«
»Red doch nicht so einen Unsinn!«, tadelte mich die Elbin.
»Nicht?«
»Nein, lass es bitte sein!«, bekräftige Lemander, der mittlerweile auch seinen Weg über den Vorhof gemacht hatte. Sein Blick wollte Milde verströmen, aber ich sah, wie es hinter seiner Fassade vor lauter Nachdenken brodelte. »Du raubst den Harjennern jeden Mut, wenn du so sprichst.«
»Aber so ist es doch«, meinte ich ohne Rücksicht. »Dem Hass, den Linus in ihnen heraufbeschworen hat, können wir nicht standhalten. Wir bräuchten zehnmal soviel Männer, hundertmal so viele Pfeile, schärfere Klingen und eine Mauer, ein Dutzend Schrittlängen dick und aus dem härtesten Granit. Am besten mit einem Graben aus kochendem Öl davor. Dann, und nur dann hätten wir eine Chance!«
Wieder tunkte ich Brot in den Eintopf, der nach Speck und Rüben schmeckte.
»Dieser Elb, über den du so abfällig sprichst, ist mein Bruder«, sagte Lia traurig. Den Vorwurf darin hörte ich vielleicht auch fälschlicherweise heraus.
Ich knallte die Schüssel auf die Steine des Vorhofs und sprang auf. Wütend schleuderte ich auch noch meinen Kanten Brot von mir.
»Mir ist es gleich, dass er dein Bruder ist. Er könnte ebenso gut den Mond bewohnen oder aus dem Meer emporgestiegen sein. Er benutzt die Alte Magie und sein verdammtes elbisches Charisma um alle in einen blutigen Abgrund zu stürzen. Er hat kein Recht zu dem, was er tut.«
Ich schnaufte. Tränen der Wut und Verzweiflung rannen mir aus den Augenwinkeln.
»Warum hetzt er die Riesen auf die Nordleute? Wäre es nicht gnädiger gewesen, gleich diese ganze verfluchte Insel in den Fluten versinken zu lassen? Wozu all der Schmerz, wozu all der Tod? Bereitet es ihm Freude?«
Lia sah beschämt weg – vielleicht auch, damit ich ihre Tränen nicht sah.
»Sag mir, Elbenprinzessin, bereitet es seiner sadistischen Seele Freude, uns alle leiden zu sehen? Hat er deshalb den Riesen ihre Herzensruhe gestohlen und den Harjennern ihre Jahre? Damit sie sich gegenseitig umbringen? Hätte er sie nicht einfach alle auf der Stelle töten können?«
Lemander schlug mir das stumpfe Ende seines eigenartigen Stockschwertes gegen die Brust. Schmerz durchzuckte mich dort, wo mich vor Stunden der Riese getroffen hatte – die Luft wich mir aus den Lungen und ich fiel auf die Knie, um mich zu krümmen.
»Ruhe, Deckard!«, herrschte der Alte mich an. »Und hör mir zu!«
Ich zwang meinen Atem mühsam, ruhiger zu gehen. Dann blickte ich zu Lemander hoch.
»Du hast mich gerade auf eine Idee gebracht«, sagte er. »Eine letzte, verzweifelte Idee.«
Unser Plan war tatsächlich verzweifelt naiv, aber es war der einzige, den wir noch hatten. Sollte er scheitern, würde mit ihm das Volk der Harjenner zugrunde gehen.
Lemander hatte Leonhrak eingeweiht und das verstehende Blitzen in den Augen des Prinzen hatte mir sofort verraten, dass er die Tragweite dessen verstanden hatte, was wir vorhatten. Lia war mit uns gekommen, Lemander hingegen war in der Stadt geblieben.
»Ich bin ein alter Mann, Deckard«, hatte er beteuert. »Ich würde euch aufhalten oder euch durch mein Ungeschick verraten.«
So waren wir nun zu dritt und in einer äußerst riskanten Mission unterwegs.
Dort wo sich die Stadt an die Flanke des Gebirges schmiegte, hatte
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