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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Starre, dieses andächtige Lauschen, in das meine Leute und ich schon auf der Reise in die Hauptstadt jedes Mal verfallen waren, wenn Lia einmal ein Liedchen gesungen hatte. Jetzt wusste ich, wieso: Es war die Magie in diesen Liedern.
    Auch wenn ich nicht jedes Wort verstand, das Lia sang, konnte ich den groben Sinn erahnen. Es war eine kurze gesungene Geschichte über jemanden, der sich mit den Schatten gut stellte, damit sich diese für ihn quasi verbogen.
    Nachdem sie verstummt war, stand sie auf. Ihre Bewegungen waren nicht mehr zu hören, als hätte ein unsichtbarer Geist selbst das Knarzen ihrer Lederstiefel verschluckt. Sie beugte sich vor und gab Leonhrak einen zarten Kuss auf die Stirn.
    »Lasst uns gehen«, flüsterte sie verheißungsvoll. »Wir werden dein Volk retten, mein Prinz.«
    Und mit diesen Worten begann sie, so geschwind wie vorsichtig den Hang hinabzusteigen.
    Es war tatsächlich wie ein Zauber, der auf uns lag. Unsere Schritte schienen nur einen Bruchteil des Trittgeräusches zu machen, das sie normalerweise taten. Und wir alle drei schienen die Schatten auf eigenartige Weise anzuziehen. Es war ein wenig, als hätte man uns eine Nuance düsterer als alles Übrige in eine ohnehin schon düstere Umgebung gezeichnet. Wir konnten uns nicht frei bewegen, aber das Schleichen in den Schatten wurde uns immens erleichtert.
    Wir hielten uns abseits der großen Feuer, und doch kam uns deren Hitze wie ein Glutofen vor. Die Riesen selbst saßen in Gruppen darum. Aber ihre Stimmung war weit weniger ausgelassen, als ich es vermutet hätte. Oder als es bei einem menschlichen Heer der Fall gewesen wäre, das am Tag noch einen todsicheren Weg gefunden hätte, die Mauern des Feindes einzureißen. Alle Riesen, die nicht bereits von den Erschöpfungen des Tages in tiefen Schlaf gefallen waren oder zur Wache abgestellt waren, blickten griesgrämig drein. Das konnte auch ein Nachteil sein bei unserer abenteuerlichen Unternehmung. Mein Herz schlug laut pochend bis zum Hals und beinahe fürchtete ich, dass es das Einzige sei, dass jeder hören konnte. Natürlich hatte ich Angst. Nicht vor dem Tod, sondern vor dem Weg dorthin. Angst vor dem Sterben und Angst um all die Leute, die ich im Stich lassen würde. Ich warf einen Blick auf das nächtliche Firmament, über das nur ganz seicht einige Nordlichter zogen, die die Schwärze zwischen den Sternenhaufen ein wenig bunter ausmalten. Dort irgendwo waren die Götter zu Hause, auf der anderen Seite des Todes, am Ende der sonnenlosen Straße.
    Wenn dies meine letzten Atemzüge sein sollten, dann kümmert euch um Falkenberg! Dort leben gute Menschen. Kümmert euch um Ellyn von Gamar und schenkt ihr ein lauteres Herz!
    Dann waren wir da. Wir hatten die Rückwand des Königszeltes erreicht. Was nun? Wir konnten schlecht zum Vordereingang hinein. Die dicken Zeltwände unbemerkt zerschneiden konnten wir auch nicht. Also saßen wir fest im Lager der Riesen, kaum fähig, auch nur laut zu atmen. Es war zu dunkel abseits der Feuer und wir waren zu gut von den Schatten versteckt, als dass wir uns in die Gesichter hätten sehen können. Ich sah mich nach Leonhrak um. Der zuckte mit den Schultern, sah mich also offenbar ebenfalls ratlos an. Dann ging alles sehr schnell.
    Lia sprang auf und rannte, geschmeidig wie eine Katze. Leonhrak und ich sprinteten hinterher, so schnell es ging. Lia umkurvte das Zelt und war an den beiden Riesenwachen vorbei, ehe diese auch nur wussten, wie ihnen geschah. Verdutzt, aber alarmiert drehten sie sich um und gaben Leonhrak und mir die Gelegenheit, ebenfalls ins Zelt zu stürmen. Doch während wir zu unseren Schwertern griffen hielt Lia die Arme ausgestreckt zu beiden Seiten, um zu demonstrieren, dass sie keine Waffen bei sich trug.
    »Halt«, brüllten die beiden Wachen donnernd. Leonhrak und ich zogen unsere Waffen und umtänzelten sie. Dabei gab es nichts, das wir hätten tun können. Den Schlag einer Riesenkeule konnte niemand von uns parieren und eine Fluchtmöglichkeit war nicht gegeben.
    »Ah, der Held vom großen Wall«, dröhnte hinter uns im Zelt eine Stimme, die wir nur allzu schnell erkannten. Ich blickte über die Schulter und sah, wie Lia auf den viel zu hohen Tisch in der Mitte des Raumes gesprungen oder geklettert war, um König Ruhman die leeren Hände zu zeigen.
    Der König hingegen stand vor dem Tisch und blickte mir direkt in die Augen. Ich konnte seine unheimlichen, rot geränderten Pupillen sehen. Er trug eine gewaltige Krone. Aus

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