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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Gewalttat in meinen Verstand zu ritzen.
    Elben. Sechs Stück, ein halbes Dutzend. Sternförmig lagen sie dort, mit den Köpfen zur Mitte der Lichtung und den Gesichtern zur Erde. Lange, grausame Schnitte und Stichwunden fanden sich auf allen Körpern. Die Stille des Todes deckte sich über sie wie ein schweres Tuch. Nahe an vollkommener Panik drehten Leonhrak und ich sie um. Lia war nicht unter ihnen. Bei den Göttern, was war hier geschehen?
    »Deckard!«, rief Leonhrak herüber. Mit wenigen langen Schritten war ich bei ihm in der Mitte des grausigen Sterns, zu dem hin die toten Elben angeordnet waren. Unter einem großen Stein lag gut sichtbar für jeden ein gefaltetes Pergament. Mit dem Blut der Toten stand etwas dort geschrieben, in einer Handschrift, die so gestochen scharf war, wie das Messer eines Barbiers:
    Verehrter Graf Deckard,
    Die schwarze Kugel, die der Elb so sehr begehrt, ist gut versteckt. Deine junge Elbenfreundin habe ich bei mir. Ich allein kenne den Weg, wie Du beides unversehrt wiederbekommen kannst.
    Graf Deckard, Du triffst mich allein im Palast der Dämmerung. Nimmst Du jemanden mit Dir, stirbt Deine Freundin, noch bevor Ihr die Hauptpforte durchschritten habt.
    Machen wir unter uns zweien aus, wer der Bessere ist! Ein für allemal.
    Schekich
    Übelkeit und Schwindel übermannten mich. Ich ging in die Knie und stützte mich mit beiden Händen auf Erlenfang. Was hatte ich getan? In was für einem Monster hatte ich Zorn heraufbeschworen? Und wie hatte er mich wiedergefunden, hier am anderen Ende der Welt?
    Der Beste? Schekich wollte herausfinden, wer der Bessere von uns war? War es das, worum es ihm ging? Dieser Wahnsinnige!
    Mein Magen gab nach und ich erbrach mich auf den Waldboden. Schwer schnaufend und nach Luft schnappend, versuchte ich auf meine wackeligen Beine zu kommen. Leonhrak half mir hoch. Und als ich in das Gesicht des tapfersten aller Nordmänner blickte, griff die Übelkeit der Ohnmacht um ein Haar erneut nach mir. Tränen kullerten in den schwarzen Bart des Prinzen. Stille, bittere Tränen.
    Alle Vorschläge, die am Strand erörtert wurden, waren sinnlos. Wenn Schekich im Palast der Dämmerung saß und uns von seiner erhöhten Position aus beobachten konnte, hatten wir keine andere Wahl, als seiner Forderung nachzugeben.
    Ohne den Nollonar waren wir verloren! Dann wären wir ohne Grund unter großer Anstrengung ans Ende der Welt gereist. Und ohne Lia wäre meine Seele verloren. Und Leonhraks ebenfalls.
    Die Elbin hatte mir Grund zum Antrieb geliefert, sonst hätte ich mich vor vielen, vielen Wochen bereits meinem Schicksal ergeben.
    Ich war es ihr schuldig. Doch es schmeckte mir ganz und gar nicht, Lias Leben zu Schekichs Bedingungen zurückkaufen zu müssen. Und wenn es meines kosten sollte? Dann war es das wohl immer noch wert. Während ich jemand war, den die Verzweiflung lähmen konnte, war Lia ein Wesen, das immer weitermachen würde. Immer, immer weiter.
    Also war es beschlossen: Ich würde dem Alptraum ins Gesicht blicken.
    Der Tag war warm, beinahe schwül. Quainmar lag weit genug im Süden, dass der Sommer endlich Sommer war. Die weiten Laubwälder des Landes taten das Ihre zu dem eher feuchten Klima bei. Doch die Luft hier war so sehr mit Leben erfüllt, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich nahm nicht viel mit. Hose, Hemd, Stiefel; eine Weste aus gehärtetem Leder, Armschienen und Handschuhe; den Dolch am Gürtel, den ich bei den Harjennern erstanden hatte; Erlenfang, mein treues Schwert. Schekich wollte ein Duell mit dem einzigen Menschen, von dem ihm bekannt war, dass er mit ihm mithalten konnte. Doch ob ich dazu wirklich fähig war, bezweifelte ich. Bisher waren es Überraschung, Angst, oder Wut gewesen, die mich schneller gemacht hatten. Eins gegen Eins unter gleichen Bedingungen würde Schekich vermutlich mit mir spielen wie ein Luchs mit seiner Beute.
    Leonhrak befahl, dass die Hälfte der Harjenner mich mit der Skrara übersetzen sollte, um postwendend wieder zu verschwinden.
    Auch Lemander, der sonst so beredt und voller Einfälle war, blieb stumm. Wortlos trat er auf mich zu und schloss mich in die Arme, wie einen Sohn. Verwirrt ließ ich es schließlich geschehen. Ich hatte mit dem alten Wirrkopf so vieles durchgemacht in den letzten Monaten. Hinter ihm saß Airi auf einem toten Stück Holz. Sie war zurückgekehrt, während wir im Wald gewesen waren. Der Raubvogel hatte einen Brief dabei, doch ich fürchtete mich vor dem Inhalt. Entweder würde ich

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