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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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ihn lesen, wenn ich zurückkehrte oder niemals. Der lange, kreischende Schrei wirkte ein wenig, als ob das Tier vor mir salutierte.
    Der Prinz der Nordleute verabschiedete mich, wie man einen Bruder verabschiedet. Er selbst würde am Strand zurückbleiben – und beten.
    Dann legte die Skrara ab und trug mich meinem Schicksal entgegen.
    Es war eine kurze Überfahrt. Vorsichtig wurde das Schiff unter sanften Ruderschlägen seitlich an die Felseninsel heranmanövriert. Soweit, bis schließlich einer der Männer, der mit einem Ruderriemen nachmaß, flaches Wasser meldete. Dann ließen mich die Nordmänner an einer Strickleiter herunter. Die letzte Schrittlänge über dem Wasser, nahm ich Erlenfang und den Dolch hoch über den Kopf und ließ mich fallen. Das Meer reichte mir hier gerade bis zur Hüfte und ich konnte auf dem steinigen Grund bis zur Insel waten. Als das Wasser nur noch knöcheltief war, drehte ich mich um und winkte. Wie vereinbart, machte sich die Skrara auf den Rückweg zum Strand.
    Ich erreichte einen kleinen Sandstrand, der durch die Strömung in der Bucht hier über Jahre angeschwemmt worden war. Hier nahm ich mir die Zeit, um meine Leinenhose auszuwringen, damit sie mich nicht, schwer von Meerwasser, behinderte. Dann suchte ich mir einen Weg, die Felsen empor. Lange musste ich nicht klettern, dann kam ich bereits zu von den Elben gehauenen Gängen, ehemaligen Anlegestellen und steinernen Stege. Die Kunstfertigkeit der weit geschwungenen Ornamente, die alles zierten, wäre unter jedem anderen Umstand atemberaubend gewesen. Doch mein Schicksal wartete und ich hatte nicht vor, es noch mehr herauszufordern, als ich es ohnehin schon tat – oder tun musste.
    Ein breiter Pfad, überwuchert mit Moos und vertrocknetem Seetang, führte schließlich in einem Bogen zum Tor des ebenso monströsen wie ehemals filigranen Gebildes aus Elbenglas.
    Ehrfürchtig stand ich vor den viele Schrittlängen hohen Torbögen aus grünem Glas. Der Palast war mattgeschliffen vom Salz und Wasser in der Luft und von den heftigen Winden, die es sicherlich vielfach im Jahr gab, wenn die Stürme vom offenen Meer in die Bucht fegten. Das Krachen der hohen Wellen, die von Seeseite her gegen die Felsen schlugen, war von hier aus leiser. So schwer, wie die Strömung von der offenen See her vermuten ließ, war sie auf der dem Land zugewandten Seite nicht. Ich blickte zurück, sah in anderthalb oder zwei Meilen Entfernung den Strand der Bucht, auf den die Skrara zulief – und meine Freunde warteten.
    Dann trat ich ein.
    Das Licht schien schwach in den Palast hinein. Das Glas, das sonst das Morgenlicht zwischen schwerem Rot und hellem Orange hereingelassen und mit den eigenen Grüntönen schillernd zu einem bunten Farbengewirr vermengt hätte, war im Laufe der Jahrhunderte abgenutzt. Trüb war es im Inneren, trotz der einst wohl gewaltigen Hallen, die der Palast der Dämmerung beherbergte. Nun verstand ich auch, warum er so genannt wurde: Hier war es wie in einer stetigen Dämmerung. Das Licht stand auf der Kippe zwischen dieser Welt und der nächsten, eine Spannung zwischen zwei Zuständen. Es war beinahe, als wäre in der feuchten Luft ein verhuschter Blick auf die sieben Götter möglich – ein Schimmer bloß, stets am Rande des Sichtfeldes, doch niemals klar zu sehen.
    Größe und Erhabenheit meiner Umgebung waren trotz des stetigen Verfalls bedrückend und beeindruckend zugleich. Heruntergekommene Fassaden, bröckelnde Ornamente, zersprungene Treppen, die über dem Rauschen der Wellen endeten. Hunderte von Säulen, viele von ihnen lagen zersplittert oder völlig überwuchert danieder. Die Flora Quainmars eroberte, was sie nicht selbst geschaffen hatte.
    »Schekich«, rief ich in die Leere der großen Halle hinein. »Schekich.«
    Keine Antwort. Ich rief wieder und wieder, wütend, unsicher, mit bebender Stimme. »Schekich.«
    Mein Zorn ballte sich, mein Hass auf diesen Mann, der sich nahm, was er wollte. Der nicht davor zurückschrecken würde, ganze Königreiche zu Fall zu bringen, wenn es nur der Befriedigung seines Stolzes diente.
    Momente, Augenblicke verstrichen. Ich hörte mein Herz schlagen, meine Atemgeräusche, die Unruhe, die meinen gesamten Körper erfüllte. »Schekich!«
    Dann war er da. Er schälte sich als dunkle Gestalt direkt vor mir aus einem Schatten in der Dämmerung, als sei er schon immer da gewesen. Ich wusste nicht, ob es mein Leben oder vielleicht nur eines meiner Gliedmaßen kosten würde, aber diese

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