Dorn: Roman (German Edition)
Fähigkeit mit den Schatten zu verschmelzen verschaffte Schekich ungeahnte Vorteile.
»Graf Deckard«, sagte die Gestalt mit Mantel und Kapuze. Die Süffisanz in seiner Stimme war dieselbe, die Linus an den Tag gelegt hatte. An jenen Tag, an dem Schekich meinen besten und teuersten Freund auf Geheiß eines dämonischen Elbenprinzen ermordet hatte – und Freude dabei empfunden hatte.
Schekich schlug die Kapuze zurück und löste die Brosche, die seinen Mantel zusammenhielt. Seine dunklen Locken fielen lang an der Seite seines Gesichts herunter. Waren das erste Spuren von grauem Haar, die sich hier und dort offenbarten?
»Warum bin ich hier?«, wollte ich wissen und versuchte den Hass in meiner Stimme zu zügeln. »Willst du ein Duell? Dann komm und hol es dir, Bastard!«
Schekich lächelte dünn.
»Ich muss etwas zu Ende bringen«, sagte er emotionslos.
»Du meinst, ein unschuldiges Mädchen fangen und die Nollonin deinem Herrn zurückbringen?«
Mein Gegenüber schüttelte den Kopf.
»Nein, Deckard. Der Elb Linus hat für meine Dienste bezahlt. Sehr gut bezahlt. Und es kränkt meinen Stolz, dass du und deine Freunde mich mehrfach daran gehindert habt, meine Pflichten zu erfüllen. Vor allem kränkt meinen Stolz, dass ich offenbar jemanden gefunden habe, der mir trotz all der Jahre voll harter Übung im Schwertkampf ebenbürtig ist. Und dazu noch so ein lächerlicher adeliger Schnösel.«
»Das ist es also, was du siehst?«, meinte ich verächtlich. »Einen Adeligen, der nichts besseres in seinem Leben zu tun hat, außer sich im Schwert zu üben?«
»Ihr seid doch alle gleich«, entgegnete Schekich, jetzt mit offener Verachtung in der Stimme. »Ihr sollt regieren und euch um eure Leute sorgen. Stattdessen vertreibt ihr euch die Zeit.«
»Du scheinst ja gut über mich informiert zu sein und über das, was ich den lieben langen Tag so tue.«
»Das Volk sagt von dir, dass du ein guter Fürst bist, Deckard. Möglicherweise bist du eine Ausnahme unter den Deinen. Du hast eine sehr stolze Auffassung von Loyalität – und die habe ich ebenfalls.«
»Nein«, rief ich. »Du bist loyal einem Auftraggeber gegenüber, der dich bezahlt. Ich bin loyal denjenigen gegenüber, denen ich durch Geburt verpflichtet bin.«
»Das macht keinen Unterschied«, erwiderte Schekich. »Doch ich möchte diese eine Sache zwischen uns ein für allemal beseitigen. Du hast eine bemerkenswerte Gabe, mir zum falschen Zeitpunkt im Weg zu stehen, Deckard. Wie ein Fluch lastest du auf mir. Selbst damals, als es mein Auftrag war, im Rahmen des Verlustedikts den König zu ermorden. Meine Auftraggeber wollten ein Exempel statuieren. Stattdessen traf es deine Eltern. Und schon damals warst du es, der nicht zugegen war. Schon damals bist du mir entkommen, auch, wenn deine Familie damals gar nicht mein Ziel war.«
Die Bemerkung über meine Familie traf mich wie einen Schlag vor den Kopf. Schekich war derjenige, der mir damals alles genommen hatte? Meine Eltern? Esja, meine große Liebe? Also war es alles Schekichs Schuld … Wäre er nicht gewesen, wären meine Eltern noch am Leben, wäre ich vermutlich noch nicht Markgraf von Falkenberg. Jemand anderes wäre zum Nicht-König geworden … und hätte womöglich härtere, aber konsequentere Entscheidungen getroffen.
Eine Welle unkontrollierbaren Hasses kochte in mir hoch. Ich nahm Erlenfang von der Schulter, zog die Klinge und schleuderte die Schwertscheide durch den Raum auf die aufgesprungenen Fliesen der Halle. Es schepperte an diesem ansonsten so stillen Ort.
»Dann mach schon!«, brüllte ich. »Beende, was du begonnen hast! Oder versuch es!«
Langsam, geschmeidig und bedrohlich zog auch Schekich sein Schwert. Er kostete das lange Schleifgeräusch aus, das erklang, während die Klinge seiner Waffe aus ihrer Scheide glitt.
»Hier ist der Handel, Graf von Falkenberg: Gewinnst du dieses Duell, ist das Elbenmädchen dir überlassen. Sie weiß, wo die geheimnisvolle Kristallkugel versteckt ist.
Verlierst du, wirst du ohnehin keine Chance mehr haben, dir über die Folgen Gedanken zu machen. Ich verrate sie dir trotzdem: Ich werde Elbin und Kristallkugel an den gehässigen Elben Linus übergeben, so, wie es mein Auftrag war, für den ich entlohnt worden bin.«
Ich nickte und tat die nötigen Schritte, um auf ihn zuzuspringen. Stahl traf klingend auf Stahl. Lachend drehte sich Schekich unter einem meiner wütenden Schläge weg, parierte den nächsten, dann noch einen, und noch einen.
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