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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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unseren Gunsten wenden?«
    »Ich will wissen, wie wir das politische Glück zugunsten der Menschen im Reich wenden.«
    »Du bist manchmal schon fast ekelhaft rechtschaffend«, grinste Lemander mich an.
    »Hör auf damit! Ich meine es ernst.«
    »Ich auch. Hast du mal darüber nachgedacht, dass die eine oder andere Unaufrichtigkeit vielleicht am Ende zu etwas weniger Unheil geführt hätte?«
    »Zum Beispiel?«
    »Du hättest Linus in Anselieth locker vom Orden festsetzen lassen können. Gut, das hätte zwar Serion von Gamars Zorn auf den Plan gerufen, aber der Mann hat eh genug Charakterfehler. Der wäre früher oder später ohnehin durchgedreht.«
    »Sprich nicht so abfällig!«
    »Natürlich spreche ich abfällig darüber. Ich bin ein Mensch und ab und zu drastische Urteile zu fällen ist menschlich, Deckard.«
    Ich wusste nur zu gut, was es hieß, menschlich zu sein. Nach unserer Flucht aus Anselieth war ich drauf und dran gewesen, mich um den Verstand zu trinken. Aber Mensch zu sein, hieß auch, die Schmerzen zu ertragen.
    »Hättest du Linus gefangen gesetzt, wäre vieles nicht passiert. Dann-«
    »Hör auf, es mir zu erläutern«, unterbrach ich ihn missmutig. »Ja, dann wäre Delan von Gramenfeld noch am Leben und Amondo Lakarr wahrscheinlich auch, ganz zu schweigen von Hermelink. Worauf willst du hinaus, Lemander? Ich bin, der ich bin – und zu keinem Zeitpunkt hat Linus mir einen offiziellen Grund geliefert, ihn unter Arrest zu stellen.«
    »Wirklich nicht?«
    Ich dachte an meine erste persönliche Begegnung mit Linus. Ja, möglicherweise hätte ich damals Grund genug haben können, ihn aus dem Spiel zu nehmen. Aber ich liebte den Frieden so sehr und hatte mich wohl der Hoffnung ergeben, es wäre alles nur halb so schlimm.
    »Ach, lass mich in Frieden, Lemander«, grummelte ich und verzog mich. Mir war die Lust vergangen, noch lange aufzubleiben. Sobald das Feuer brannte und das südliche Sternenzelt Quainmars sich über uns spannte, rollte ich mich in meine Decken und schlief ein. Das exotische neue Land, das wir betreten hatten, interessierte mich nicht im Geringsten. Ich wollte Frieden für meine Leute haben – und für meine Seele. Nichts als Frieden.
    Doch Frieden sollte ich so bald nicht bekommen.
    »Wrajan«, hallte der Entsetzensschrei über unseren Lagerplatz. »Wrajan!«
    Ich hatte zur Ausnahme einmal viele Stunden tief und fest durchgeschlafen. Und mit eben jener Verzögerung, die das plötzliche Aufwachen aus einem tiefen Schlummer mit sich brachte, begriff ich nur langsam, dass ich nicht räumte. So schnell es mir möglich war, schüttelte ich meine Decken ab und kam auf die Beine.
    Die Morgendämmerung war gerade angebrochen, doch an unserem Lagerplatz herrschte helle Aufregung.
    Einer der Nordleute – namentlich Wrajan – lag tot in seinem eigenen Blut. Er war Teil der letzten Wache vor dem Morgen gewesen. Der zweite Nordmann, der zur Wache eingeteilt war, hatte lange nichts bemerkt. Bleich wie der Tod stammelte er etwas davon, dass er das nördliche Ende des Lagers bewacht hatte und sich schon eine Weile nicht umgewandt hatte. Als er es im allerersten, schwachen Schein der Dämmerung getan hatte, war ihm aufgefallen, dass er keine Wache im Süden des Lagers stehen sah. Dann war es chaotisch geworden und seine panischen Schreie über dem toten Körper seines Freundes, hatten die übrigen Mitreisenden geweckt.
    »Wo ist Lia?«, rief Lemander neben mir. Er wirkte sehr viel hektischer, als ich es von ihm gewohnt war.
    Lia?
    Ich sah mich um. Nirgendwo war die junge Elbin zu sehen. Leonhrak eilte an mir vorbei, ich packte ihn am Arm. »Hast du Lia gesehen?«
    Auch er blickte um sich und ich sah, wie das Entsetzen auf seinem Gesicht noch größer wurde. Helft mir, oh Götter! , sagte sein Gesicht.
    Fass einen klaren Gedanken, Deckard! Fass einen klaren Gedanken!
    Die Spuren im Sand. Sie waren so deutlich, dass man sie kaum übersehen konnte – beinahe schon fahrlässig breit, führten sie über den Strand in südlicher Richtung in den Wald hinein. Leonhrak und ich hetzten an ihnen entlang, zogen unsere Klingen. Zwar wuchsen hier noch Laubbäume, doch glich die Gegend mehr den Geschichten, die ich über die Urwälder im tiefen Süden gelesen hatte. Überdeutlich war niedergetretenes Buschwerk und Unterholz zu sehen. Wir folgten der Spur unbeirrt, bis wir zu einer runden Lichtung kamen. Die Helligkeit der fortgeschrittenen Morgendämmerung reichte aus, um mir das Bild einer unfassbaren

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