Dorn: Roman (German Edition)
zurückzuziehen, da wurde ich erneut angesprochen.
»Graf Deckard?«
Der junge Relend von Ansannen, der die Botschaft vom Tod des Königs überbracht hatte, kam auf mich zu. Er trug die Kleidung meiner eigenen Garde, was ihm nicht so recht behagte – aber zumindest war sie trocken und sauber.
»Auf ein Wort?«
Ich nickte, also ging er neben mir her, während ich den Aufstieg zu meinem Arbeitszimmer suchte.
»Glaubst du, dass es klug ist, deine Leute mit der Gegenwart einer Elbin zu beunruhigen, Herr?«, fragte er ganz unverblümt.
Ich zog im Gehen eine Augenbraue hoch. Das war ziemlich forsch für einen königlichen Diener. Aber gut, von mir hatte niemand etwas zu befürchten, nur weil er sich im Ton vergriff. Da gab es andere Adelige …
»Ich dachte, ich hätte das Thema gerade schon deutlich genug erörtert«, gab ich meine Erklärung dazu ab.
»Ach«, der Gardist winkte ab. »Das meinte ich nicht. Von mir aus könntest du dir einen ganzen Hofstaat von Elben halten, Herr. Das liegt allein in deiner Hand.«
Das war etwas überspitzter, als ich es ausgedrückt hätte, aber im Grunde eine bemerkenswert gelassene Haltung dem Thema Elben gegenüber.
»Was ist es dann?«, hakte ich nach.
»Nun, wir müssen so bald wie möglich abreisen. Der Weg nach Anselieth ist weit. Das Konklave kann man nicht wegen eines Elbenmädchens warten lassen.«
Das war ein interessanter Punkt. Natürlich durften das unerwartete Eintreffen von Lia und ihre Probleme keine Verzögerungsgründe für die Abreise sein. Das wäre mir zwar entgegengekommen, aber wenn ich unter Beobachtung eines königlichen Gesandten stand, konnte ich mir derartiges schlecht leisten.
Andererseits war es dennoch allein meine Entscheidung. Wie lange konnte es schon dauern, die Probleme des Mädchens zu lösen?
»Die Straßen in Dinster sind gut«, erwiderte ich also. »Ich gehe davon aus, dass wir gut vorankommen. Mach dir bitte keine Gedanken, dass wir zu spät zum Konklave eintreffen könnten.«
»Wie gewünscht.«
Er nickte mir zu und entfernte sich. Ich gab das Nicken weiter an die Wache neben der Tür. Der Soldat nickte zurück.
Die Nacht brauchte eine Weile, bis sie mich schlafen ließ. Zu viele Dinge spukten in meinem Geist umher. In meinen Träumen füllten sich königliche Trauerbanner mit Inschriften aus elbischen Buchstaben. Ich sah ein Elbenmädchen in einem Kleid. Sie stand auf einem Balkon und blickte über ein weites Tal. Wind ließ ihre Haare wild umherwirbeln. Sie hielt etwas in der Hand. Als ich nachsehen wollte, was es war, drehte sie sich um – doch ihr Gesicht war nicht das der jungen Lia. Die bernsteinbraunen Augen von Esja blickten mich an.
Verdutzt wollte ich zu einer Begrüßung ansetzen, da merkte ich, wie ich aus dem Traum fiel, hinein in die weichen Bezüge meines Bettes.
Ich blinzelte behutsam. Das Feuerchen in meinem kleinen Kamin war zu einer schwachen Glut geschrumpft, die mein Zimmer nur noch spärlich in Rottönen erleuchtete.
Den Schatten des Mannes hielt ich einen Wimpernschlag lang für ein Spielchen, dass mein Verstand mit mir spielte. Dann setzten augenblicklich die Reflexe ein, die mein Leben nun seit zwölf Jahren bitter begleiteten. Von einem Moment zum nächsten war ich hellwach.
Ich griff unter mein Kopfkissen und noch im Hochfahren schleuderte ich den dort liegenden Dolch nach dem Schatten. Der Mann duckte sich wohl weg, was ich nicht genau erkannte, da ich bereits nach meinem Schwert Erlenfang hechtete, das auf der Kommode am Fußende des Bettes lag. Es am Griff packend wirbelte ich herum, und fixierte den Fremden, der sich gerade in einer geschmeidigen Bewegung aufrichtete.
»Wer zum-«
»Weißt du das nicht?«, grollte eine Stimme, die nicht zum Äußeren des Mannes passen wollte. Sie war viel zu tief und zu kehlig, beinahe wie zwei schwere Steine, die aufeinander mahlten. Der Mann hingegen war schlank und hatte einen durch Übungen gestählten Körper. Lange, dunkle Haare fielen in Wellen auf seine Schultern hinab. Mehr konnte ich im schwachen Schein der Glut nicht sehen.
Ich versuchte mich an den Namen zu erinnern, den mir Lia genannt hatte.
»Schekich?«, argwöhnte ich.
»Eben der«, sagte der Schatten von einem Mann und ließ mit einem schleifenden Geräusch eine Schwertklinge aus einer Scheide am Gürtel fahren.
»Dass du aufgewacht bist, junger Graf, beraubt mich des Vorteils der Überraschung. Es wäre mir lieber gewesen, mein Messer an deiner Kehle zu wissen. Nun muss ich dich so
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