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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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verloren. Danach war es der Falke Airi gewesen, der sie winkend auf der Spitze des Palastes entdeckte. Die Nordmänner hatten uns zurück an Land geholt und Lias Anweisungen gemäß den Nollonar unweit der Stelle ausgegraben, an der Schekich die toten Elben so grausam angeordnet hatte. Ohne einen Hinweis hätten wir die Kugel niemals wiedergefunden. Währenddessen hatte ich den ohnmächtigen Schlaf der Erschöpfung geschlafen und meine Wunden waren so gut es ging versorgt worden. Um mir Ruhe zu verschaffen, hatte man eine weitere Nacht am Strand verbracht, um in aller Frühe in Richtung Noienna aufzubrechen.
    Wir hatten Noienna auf dem Seeweg tatsächlich nur knapp verfehlt und waren wenige Meilen weiter in der nächsten Bucht gelandet. Die Landzunge, die dazwischen lag, beschrieb in Richtung Festland einen langen bewaldeten Bogen, sodass Noienna nicht einsehbar war. Das äußerste Ende der Landzunge musste sich hervorragend eignen, um ankommende Schiffe in beiden Buchten auszumachen. Hatte Schekich uns so gefunden? Es schien wahrscheinlich. Doch würde ich es ihn nicht mehr fragen können – und war heilfroh darum.
    Der Übergang vom Wald zur Stadt Noienna war so schleichend, dass ich es zunächst gar nicht bemerkt hatte. Doch dann wurde mir klar, wie die Stadt der Elben erbaut war. Es gab keine Mauern, die eine gerodete Fläche einzäunten. Erste, gepflasterte Wege begannen schon im tiefen Wald zwischen Moos und Laub. Die Gräber in den Baumkronen wurden mal mehr, mal weniger. Niedrige Statuen standen teils verwittert und von Laub und Ranken besetzt da und dort hinter Bäumen. Schreine mit unscheinbaren Altären und fein gearbeiteten Stufen sah ich zwei. Trockene Blätter fielen vereinzelt wie im Herbst auf uns herab. Bald gab es kein Unterholz mehr, und der Urwald wich einem Wald, der gezähmt, ja sogar freundlich wirkte. Als sei er eine weite, heilige Halle, deren Säulen die Baumstämme bildeten. Dann passierten wir einen Turm aus glattem, hellem Stein, um den sich ganze Bäume rankten wie Efeu um einen Erker. Schließlich betraten wir eine lange steinerne Brücke, die in hohem Bogen über den Fluss Neimeroth führte. Während unter dem mit Ornamenten geschmückten Pflaster der Brücke der Strom rauschte und die Bucht speiste, fiel unser Blick erstmals auf die gesamte Herrlichkeit Noiennas – auch wenn der Ort in Grabesstille vor uns lag.
    Alles war aus hellem Stein erbaut, dessen Farbe irgendwo zwischen Weiß und Gold lag. Geschwungene Türme und riesige Terrassen säumten weite Hügel, deren Baumbestand wie ein einziger gewaltiger Park die Wege und Plätze rahmte. Offene Häuser auf schlanken Säulen, verbunden durch eine Vielzahl von Treppen, standen überall. Ich hatte viel gesehen, seit ich Falkenberg hinter mir gelassen hatte, aber niemals eine derartige Stein gewordene Erhabenheit, die sich über eine Meile von den sanften Hügeln des Waldlandes hinunter zur Bucht erstreckte.
    Auf dem höchsten der Hügel stand der Palast Finduil, ein Gebäude aus vielen großen und lichten Hallen. Schlanke, beinahe zerbrechlich wirkende Säulen und Streben beherbergten Fenster und Wintergärten aus Elbenglas.
    Wir alle waren sprachlos ob der reinen Anmut dieses Ortes. Es war, als hätte man das Ende der Welt erreicht, als würde sich die sonnenlose Straße vor einem in das weite Tal auftun, in dem Allandar, der große und ewige Träumer all seiner Geschöpfe harrte.
    Am Ende der Brücke standen zwei Elben mit goldenem Haar und silbernen Bögen in den Händen. Lia hob ihre Hand zum Gruß und sie verbeugten sich tief vor ihr.
    Sachte nahm Lia die Hand eines jeden elbischen Wächters und legte sie auf die nachtschwarze Kugel in ihrer Hand.
    » Laithah «, hauchte einer von ihnen erschlagen und fiel auf die Knie. » Otheth velorenai … a minuhilieth aivynn « – Herrin, du bist zurück … und du erlöst uns.
    » Mai «, bestätigte sie zärtlich, was der Elb gesagt hatte und verbeugte sich tief vor ihm. » Otha velorenai … a minuhilia ethivynn .«
    Während wir wie im Traum durch die Stadt Noienna wandelten, wurden wir nur weniger Elben gewahr. Eine schwere Traurigkeit lag über dem Ort und ließ ihn trotz seines fremden Glanzes ein wenig schauerlich wirken.
    »Das Leben in Noienna liegt brach, seitdem der Fluch der Nollonin über uns gekommen ist«, erklärte einer der Elben, die uns eskortierten. »Es war, als wäre mit unseren Stimmen sämtliche Hoffnung gestorben.«
    Andächtig, ja beinahe ehrfürchtig

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