Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
Schekich und griff unter seine Achseln, um ihn von dem verkanteten Dolch herunter zu hieven. Ein Ruck, und er war frei. Mein Handgelenk rebellierte und ich ging auf die Knie, mit einem Schrei aus tiefster Seele.
    Schekich blieb auf dem Bauch liegen. Ich bemerkte, wie er seine Beine versuchte zu bewegen, doch die Kraft schwand sichtbar aus seinem Körper. Es gelang ihm nicht, sich umzudrehen. Vorsichtig schätzte ich die Lage ab: Bis zur Kante waren es vielleicht zehn Schrittlängen. Dahinter und darunter toste das Meer.
    Mit der rechten griff ich Schekichs gebräunte Hand, schaffte es, ihn auf den Rücken zu drehen und zog. Zog und zog gegen das Gewicht des Mannes, dessen Hände um ein Haar mein eigenes Leben beendet hätten.
    Langsam schleifte ich ihn Schritt für Schritt. Ich wusste nicht recht, warum ich das tat. Wahrscheinlich wollte ich, dass er aus meinem Leben verschwand. Und nie wieder zurückkehrte.
    Dann war es geschafft. Der stumme, dankbare Blick des sterbenden Mannes begleitete mich, während ich ihn kraftlos über die letzte Kante rollte. Wie ein Stein fiel der Körper in die Fluten hinab.
    Hatte ich einem Dämon seinen letzten Wunsch erfüllt? Mein Körper und Geist schienen kaum noch mir selbst zu gehören. War es so? Waren Schekich und ich uns ähnlicher, als ich es wahrhaben wollte? Ein Schauder überkam mich.
    Ich blickte ihm nicht länger nach, sondern sammelte Erlenfang kraftlos auf und machte mich auf die Suche nach Lia.

Kapitel 14
    Die Erhabenheit einer anderen Welt
    Als ich zu mir kam, schaukelte ich auf einer Trage durch den Wald. Licht fiel durch das Blätterdach über mir, während ich blinzelte und versuchte, die Umgebung zu sortieren. Mein linkes Auge sah nichts. In einem kurzen Anfall von Panik fuhr meine Hand in mein Gesicht und ertastete einen festen Verband. Erleichtert atmete ich auf. Als ich den Kopf hob, sah ich einen Nordmann am hinteren Ende der Trage. Er nickte mir freundlich zu.
    »Er ist wach«, sagte er nach vorn gewandt. Dann setzten sie mich ab und Lemander kam herbei.
    »Guten Morgen!«, verkündete er mit fröhlich blitzenden Augen, während ich mich unter leichtem Schwindelgefühl aufsetzte. Vorsichtig untersuchte ich den starken Verband an meiner linken Schulter und begutachtete die Schiene an meinem Handgelenk.
    »Ich hatte eigentlich befürchtet, du kommst in mehreren Stücken zu uns zurück«, scherzte Lemander. Dann kam auch schon Leonhrak herübergeeilt und ging in die Hocke, um mich heftig zu umarmen.
    »Bruder!«, strahlte er mich an. Ich keuchte vor Schmerz.
    Auch Lia erschien in meinem Sichtfeld. Sie schien körperlich unversehrt zu sein und nickte mir mit wissendem Blick zu.
    Das Licht, das den Wald flutete, war golden wie der Herbst, obwohl alle Blätter der hohen Bäume grün strahlten. Glühwürmchen schwirrten umher, obwohl ich anhand des Tageslichtes schätzte, dass wir erst Vormittag hatten. Das Stimmengewirr vieler Tiere war zu hören. Der Tross der Nordmänner wirkte beinahe wie ein Fremdkörper zwischen all dieser natürlichen Anmut. Um uns her waren riesige Nester in den Baumkronen zu sehen, als ob sie Vögeln von immenser Größe gehörten.
    »Baumgräber«, sagte Lia, die meinen unschlüssigen Blick bemerkt hatte. »Wir beerdigen unsere Toten hoch über der Erde in den Bäumen.«
    »Das heißt, wir sind am Ziel?«, fragte ich verwirrt.
    »Wir sind heute Morgen nach Noienna aufgebrochen.«
    »Also sind wir noch nicht in Noienna?«
    Lia schüttelte sanft den Kopf. »Nein, noch sind wir im großen Wald Aluthian, der uns Freund und Beschützer zugleich ist.«
    »Habt …«, ich sortierte meine Worte im wirren Kopf, als mich ein grausiges Bild einholte »Habt ihr die toten Elben auch in solchen Baumgräbern bestattet?«
    »Das wird geschehen«, meinte Lia. »Doch zuerst bringe ich meinem Volk seine Stimmen wieder.«
    Ich konnte nicht tatenlos auf einer Trage liegen und lief bald wieder neben den Nordmännern her, trotz eines Schwindelgefühls, das ich nicht ganz abschütteln konnte. Eine Schiene fasste mein linkes Handgelenk ein und ich legte den ganzen Arm in eine Schlinge, die ich um den Hals trug. Sowohl Leonhrak als auch Lemander bestanden darauf, mich wenigstens von jeglicher Gepäcklast zu erlösen. Widerwillig ließ ich sogar Erlenfang von Lemander tragen, während er mir schilderte, was in der Zwischenzeit vorgefallen war.
    Kurz nachdem ich Lia im höchsten Turm des Palastes der Dämmerung ausfindig gemacht hatte, hatte ich das Bewusstsein

Weitere Kostenlose Bücher