Dorn: Roman (German Edition)
bringen, dann ist es wohl das Mindeste, wenn ich dich begleite.«
»Du musst das wirklich-«
»Ich muss!«, bekräftigte Leonhrak. »Ich lasse Lia nicht allein mit dir in einen Krieg mit ungewissem Ausgang ziehen. Und ich lasse auch nicht zu, dass dein Land von diesem dahergelaufenen Markgrafen Serion in Gamar eingegliedert wird. Du hast dir auf deinen Irrfahrten nicht nur Feinde, sondern auch Freunde gemacht, Deckard. Bedenke das! Sollte Serion es wagen, dich anzugehen, dann hätte er mächtige Feinde. Wenn er Falkenberg besetzen würde, dann würde das Heer der Harjenner die Reise auf sich nehmen und es wieder befreien.«
Leonhraks Worte rührten mich zutiefst. Ja, sollten die Elben doch sehen, wo sie mit ihrem Stolz blieben. Ich hatte in der Tat Freunde gewonnen auf meinen Reisen.
»Aber was ist, wenn Falkenberg in der Zwischenzeit schon längst an Gamar gefallen ist?«, gab ich zu bedenken.
»Das glaube ich nicht«, meinte Leonhrak entschieden. »Du hast selbst gesagt, dass eure Königin Ordenstruppen nach Falkenberg entsandt hat. Und die Ordenskrieger sind verflucht harte Hunde. Die härtesten, wenn du mich fragst. Nicht umsonst lassen sich eure Könige seit Jahrhunderten von ihnen beschützen. Und wenn Serion wirklich nach Anselieth zieht, lässt er zumindest vorerst Falkenberg außer Acht.«
Was Leonhrak mir aufzählte, sollte nach Hoffnung klingen. Doch der fiel es immer schwerer, sich in meinen Gedanken einzunisten.
»Hör auf, dich in Selbstmitleid zu ergehen, Deckard! Klagen kannst du, wenn du auf der sonnenlosen Straße wandelst. Denn solange du noch atmest, hast du die Chance einzugreifen. Zum Guten, wie zum Schlechten.«
Die Harjenner waren aufgebrochen, um die Skrara in die Bucht von Noienna zu lenken. Hier wollten die Elben sie mit Proviant und Vorräten für die Rückreise ausstatten.
Leonhrak hatte den Plan gefasst, mich mit seinen Männern ins Eherne Reich zu begleiten, koste es, was es wolle.
Am Nachmittag suchte mich Lemander auf, um mir eine Entdeckung mitzuteilen.
»Deckard«, rief er aufgeregt. »Es gibt da eine Sache, die dich brennend interessieren könnte.«
»So?«
»Komm!«, sagte er. »Du solltest es dir am besten selbst ansehen.«
Doch Lemander ließ keine Zeit verstreichen und schleifte mich mit sich, quer durch die Hauptstadt der Elben hindurch, die uns auf den Straßen und Plätzen freundlich, aber reserviert begegneten.
Lemander führte mich die Hügel hinunter, vorbei an Häusern und Bäumen, hin zu einer kleinen Klamm, deren Felswände von Efeu überwuchert waren. Immer tiefer führten säuberlich abgeschliffene Stufen im Fels unter einem Wasserfall hindurch.
»Wo führst du mich hin?«, wollte ich wissen und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was wichtiger sein konnte, als die baldige Abreise zurück ins Eherne Reich vorzubreiten.
»In die grüne Bibliothek von Elurian«, verkündete Lemander im Gehen.
»Elurian?«
»Ja. Der Sohn des letzten Königspaares, der Vorgänger von Elaia und Innimdal. Ihre Namen waren-«
»Ist ja schon gut«, unterbrach ich ihn. »Vermutlich kann ich mir die Namen ohnehin nicht merken. Aber was – bei den Göttern – ist eine grüne Bibliothek ?«
Doch da schritten wir bereits hinter einem zweiten Wasserfall vorbei – und ein Rund im Fels wurde offenbar. Der Fluss Neimeroth musste im Laufe der Jahrhunderte eine große, zylindrische Kammer mit dem Durchmesser eines großen Handelsschiffes in den Fels gegraben haben. Über und über wurden die Felswände von Ranken und dicken Gehölzen überwuchert. Ein dichtes Dach aus Baumkronen und Kletterpflanzen überspannte das Gebilde in mehreren Dutzend Schrittlängen Höhe, sodass kein direktes Sonnenlicht hineinfiel. Stattdessen wurde die Felsenkammer von Abertausenden von Glühwürmchen hell erleuchtet. An dem pflanzlichen Bewuchs der Wände entlang führten Treppen und Trassen zu Gängen und Emporen aus Holz. Und auf einer kleinen Halbinsel in der Mitte des Sees, der den Grund bildete und seitlich versteckt vom Hauptarm des Neimeroth lag, stand ein Elb vor einem Lesepult. Er war groß und hager, mit ergrautem Haar und langen, spitzen Ohren. Sein goldener Blick war klug und mild und er breitete die Arme aus, um Lemander und mich willkommen zu heißen.
»Lemander, da bist du ja schon wieder. Und lieber Herr Deckard von Falkenberg, ich begrüße dich und hoffe, es ist dir angenehm in meiner grünen Bibliothek.«
»Danke … Elurian«, riet ich seinen Namen richtig. »Ich
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