Dorn: Roman (German Edition)
keuchte der Bote. »Das Seenland kommt!«
Kapitel 17
Der Tag der Tränen
Schwer hallten meine Schritte auf dem Steinboden der großen Ehernen Halle.
Ellyn, meine Königin, trug schlichte, grüne Kleidung. Keine Rüstung, noch nicht. Sie hielt einen verschlossenen Köcher aus schwerem Leder in den Händen und saß zerknirscht auf ihrem Thron. Als sie mich erblickte, stand sie auf. Und als ich näherkam, sah ich die Spuren, die die Tränen der letzten beiden Stunden hinterlassen hatten. Und immer noch liefen vereinzelte, stille Tränen ihre Wangen hinunter. Sie versuchte sie nicht einmal zu verbergen.
»Lass es nicht zu einem Tag der Tränen werden!«, sprach ich so gefasst ich eben konnte.
»Das kann ich nicht«, sagte Ellyn mit brüchiger Stimme. Meine Ellyn. Meine Königin. Meine Hoffnung.
Ich legte den Helm, den ich unter meinem Arm trug, auf die Stufen und stieg zu ihr hinauf, um meine Stirn gegen die ihre zu legen.
»Ganz gleich, was heute geschieht, Deckard«, hauchte sie. »Selbst wenn sich das Blatt zu unseren Gunsten wendet: Sei du es nicht, der meinen Vater und meinen Bruder erschlägt! Ich flehe dich an.«
Niemand auf der Welt hätte ihre Zerrissenheit besser nachvollziehen können als ich.
»Nein«, versprach ich und legte ihr die behandschuhte Hand an die Wange. »Ich werde deine Familie nicht anrühren – ich werde tun, worum auch ich dich im Gegenzug gebeten hätte.«
Ellyn drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Lang und voll von Sorge. Ihre Tränen liefen heiß über meine Wangen.
»Wir versuchen beide stets das zu tun, was das Beste für die Menschen um uns herum ist«, meinte sie und es hatte niemals so bedrückt geklungen. »Lass das, was zwischen uns ist, nicht über das Schicksal anderer entscheiden!«
Dann hängte sie mir den Köcher um, in dem sich das rubinrote Szepter König Aans befand. Meine Aufgabe an diesem Tag war klar. Ich würde König Fjelding auf dem Schlachtfeld finden müssen und die Insignien zueinander führen.
»Noch etwas«, sagte ich zögerlich und griff in die schwere Ledertasche an meinem Gürtel. Ich zog den Nollonar heraus, den ich aus Noienna mitgebracht hatte, und reichte ihn Ellyn. Vorsichtig nahm sie ihn entgegen wie ein zerbrechliches Gefäß.
»Wenn ich von dort draußen nicht zurückkehren sollte«, erklärte ich bebend. »Dann sorge bitte dafür, dass dieses Instrument kein Leid mehr anrichten kann. Man kann ihn mit Gewalt nicht zerstören. Also verstecke ihn gut und sicher und am besten auf immerdar.«
Ihr stummes Nicken unter Tränen prägte sich in mein Gedächtnis ein wie ein Brandzeichen auf der Haut.
Betäubt von meinen starken Gefühlen für Ellyn, verließ ich die Halle, unschlüssig, ob ich zu irgendeiner der sieben Gottheiten ein Gebet sprechen sollte.
Draußen nahmen mich diejenigen in Empfang, die an meiner Seite in die Schlacht ritten. Meine Gefährten, die mir heute Abend im Siegestaumel in den Armen liegen würden – oder die ich am heutigen Tage zum letzten Mal sehen würde.
Lia war in eine schlanke Bänderrüstung gehüllt, und führte einen Speer und zwei lange Messer an den Seiten mit sich. Der alte Lemander trug ein Kettenhemd, und darüber harte Lederplatten. Leonhrak und die Harjenner hatten aus der Rüstkammer des Palastes mitgenommen, was sie am Leib tragen konnten. Wir alle waren mit Pferden versorgt worden – wertvolle, auf den Kampf trainierte Tiere, die zu großen Teilen den Ordensleuten gehörten, die gerade jetzt in diesem Moment auf den Mauern kämpften.
Eine ganze Armee zu Pferde hatte sich im Hof des Palastes versammelt, denn so waren wir für Gramenfeld und Gamar außer Sicht. Tausend Kopf stark, angeführt vom ehemaligen Marschall und nun Großmeister des Ordens in seiner prächtigen und voluminösen Rüstung.
Während ich mich zu meinen Leuten begab, fing ich den Blick eines Mannes auf, der mir wissend zunickte. Relend von Ansannen. Mit seinem Besuch hatte dies alles für mich begonnen – jetzt sah ich Relend wieder und nun würde es enden. So erwiderte ich das Nicken, bevor er wieder von seinen Nebenleuten verdeckt wurde.
Dann kam Eklipto von Pantus’ leidenschaftliches Auftreten.
»Krieger und Kriegerinnen des Ordens, Harjenner an unserer Seite«, schrie er in den Himmel, während er sein Ross vor seinen Truppen auf und ab lenkte. Ein Meer von weißen Wappenröcken über dicken Rüstungen erstreckte sich vor ihm.
»Der Tod wird euer emsiger Gefährte sein. Ihr seid Lanze und Schwert des
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