Dorn: Roman (German Edition)
»Nur wenn mein Körper mich zwingt. Solange meinem Geist die Kraft bleibt, wird er sich wehren. Erbittert wehren. Glaub mir, ich kenne das …«
Daraufhin stand Ellyn auf, anmutig beinahe und zog mich von der Bank zu sich herauf. Sie musterte mein von Schweiß verklebtes Hemd und strich über meine verschmierte Wange.
»Du brauchst ein Bad«, sagte sie.
Doch meine Gedanken waren draußen auf dem Schlachtfeld. »Ich brauche kein Bad. So viele andere haben kein Bad …«
»Du bist nicht wie viele andere, Deckard«, hauchte Ellyn. »Du hast so viel auf dich genommen, nur um am Ende hier zu stehen. Lass mich dir diesen kleinen Gefallen tun.«
Ich konnte mich nicht mehr wehren – hatte mich zu vieler Dinge erwehrt am heutigen Tag. Schläge von Schwertern waren auf mich eingeprasselt und ich hätte noch Hunderte abwehren können. Aber mein Herz lag ermattet danieder und streckte die Waffen.
So folgte ich ihr in die königlichen Gemächer im Nordturm. Dorthin, wo eine steinerne, im Boden eingelassene Wanne auf Ellyns Geheiß selbst mitten in der Nacht mit heißem Wasser gefüllt wurde, vermischt mit einigen exotisch duftenden Ölen.
Trotz in meiner Erschöpfung nahm ich natürlich dennoch wahr, welch atemberaubenden Körper die Königin besaß – sowohl, wenn sie ein teures Kleid trug, aber vor allem, wenn sie es nicht tat. Gefangen zwischen Genuss und Bitterkeit ließ ich Ellyn all den Dreck, den Schweiß, das Blut, die Verzweiflung von mir waschen.
»Was wird aus uns werden?«, fragte ich die Frage erneut, die zwischen uns in der Luft brannte.
»Das wissen nur die Götter«, meinte Ellyn und tauchte den Schwamm ins Wasser, um mir abermals damit über die Schultern zu streichen.
»Dich werden sie in eine Burg am Ende der Welt schicken, damit du dort von nun an die Schwalben regieren kannst.«
Ellyn seufzte. »Das könnte zutreffen. Ich denke nicht, dass mein Vater mich umbringen wird.«
»So wie mich.«
»Stell dir deinen Tod nicht so einfach vor.«
»Ich möchte nicht daran denken. Hast du keinen Funken Hoffnung für mich, meine Königin?«
Ich konnte nicht sehen, wie sie hinter mir traurig lächelte – nur spüren konnte ich es.
»Hast du denn keine Hoffnung mitgebracht von all deinen Reisen und Irrfahrten, Graf von Falkenberg? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um zu entscheiden, welche Lieder sie später über dich singen werden. Die voller Heldenmut oder die voller Spott und Häme?«
»Ich wünschte, sie würden ihr Leben in Frieden leben und fröhliche Lieder von Sommer und Licht singen. Keine Lieder über Witwen und Waisen, über untergegangene Träume und verbrannte Zeiten.«
»Wünsche, Deckard«, meinte Ellyn sanft tadelnd in mein Ohr. »Bloß Wünsche.«
Es war ein Funke, der in meinem Inneren aufglomm, nur ein Funke von Hoffnung. Aber ich konnte ihn trotzdem spüren wie einen warmen Schleier, der sich über meine Haut legte.
»Doch«, sagte ich plötzlich in den Raum hinein und hörte, wie es von Wasser und Wänden beinahe einem Echo gleich widerhallte. Ich fuhr hoch. »Doch, es gibt etwas, das Hoffnung verheißt.«
»Ich brauche Hoffnung!«, drängte Ellyn.
Ich holte Luft und dann erzählte ich ihr, was ich in der grünen Bibliothek von Elurian erfahren hatte.
Ich hatte nie besonders viele Gottesdienste besucht. Religiosität hatte in meinem Leben stets eine untergeordnete Rolle gespielt. Ich war mir nie schlüssig darüber gewesen, woran genau es wert war zu glauben.
Meine Mutter Valia von Falkenberg hingegen hatte den Siebengötter-Glauben, wie er den Bewohnern des Reiches quasi verordnet worden war, beinahe täglich praktiziert, in der kleinen Kapelle im Seitenhof der Burg Tanne. Aus diesen Zeiten kannte ich einen kurzen Vers, den ich beinahe vergessen hatte.
Weit über Flur und Feld
Hinter Berg und Tal und hinter dem Rand der Welt
Hinter der Sonne und weit hinter der Nacht
Tagt der Rat der Götter und wacht
Beinahe wie ein Stärkungstrunk halfen mir die wenigen Worte über die Tage des Krieges hinweg.
Mein Tagesablauf blieb derselbe – Eklipto als Oberkommandierender sah keinen Anlass, die Schichten zu verlängern, solange die Zahl der Kämpfenden in Anselieth nicht drastisch gefallen war.
Einfacher war es nicht geworden. Weder das Töten, noch die Anstrengung dahinter. Unsere Körper hatten Blessuren. Blaue Flecken, Prellungen, Schnitte – und damit waren nur die Glücklichen gesegnet. Unter den Unglücklichen ging es meist denen am besten, die ihre Verwundungen
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