Dorn: Roman (German Edition)
den Schnabel hoffentlich nicht umsonst am Dickschädel dieses Mannes gewetzt.«
»Was machst du eigentlich hier?«, entfuhr es mir. Der geschwätzige Plauderton Lemanders im Angesicht ernster Gefahr regte mich auf. Vielleicht war es auch wegen des pochenden Blutes in meinen Adern.
»Außer dich und deine Freunde zu retten?«, fragte Lemander und ich war froh, dass ich das Grinsen auf seinem Gesicht im Dunkeln nicht genau erkennen konnte. »Ganz einfach: Ich lasse mir doch nicht das Schauspiel der Mooskinder entgehen, wenn ich schon mal im Wald Arith bin.«
Einmal mehr war es vorbei mit der Nachtruhe. Schon den gesamten Weg zurück zum Lagerplatz diskutierten wir hitzig und es riss nicht ab, als wir eintrafen.
Schließlich war es Hermelink, der den entscheidenden Vorschlag brachte: »Der Strand. Wir reisen am Strand weiter.«
»Ich hoffe, das ist nicht ernst gemeint, oder?«, fiel Relend von Ansannen ein, der königliche Bote. »Das Vorankommen auf dem Sand ist katastrophal. Das würde den Beginn des Konklaves auf jeden Fall verzögern.«
»Wenn wir gar nicht ankommen, verzögert sich das Konklave bestimmt auch«, gab Hermelink grimmig zu bedenken. »Das ist momentan die sicherste Möglichkeit zur Weiterreise, die mir einfällt. Ich weiß nicht, wozu dieser Dämon namens Schekich alles fähig ist. Aber soviel ist gewiss: Er hat es geschafft, eine Reisegruppe von mehr als zwei Dutzend Leuten beinahe eine Woche lang zu verfolgen, ohne dass ihn auch nur einer bemerkt hätte. Und glaub mir, lieber Herr von Ansannen, ich habe hier meine fähigsten Leute versammelt.«
»Aber wieso ausgerechnet der Strand?« Relend gab sich nicht zufrieden.
»Man kann ihn besser überblicken. Ein Lager dort ist leichter zu bewachen als am Waldrand.«
»Was ist mit den Sturmfluten?«, warf der königliche Gardist ein.
»Die kommen ja nicht von einem Augenblick zu nächsten«, erklärte mein Gardehauptmann ihm. »Wenn sich eine Sturmflut ankündigen sollte, haben wir Zeit, uns rasch mit Sack und Pack auf Höhe des Waldes in Sicherheit zu bringen.«
»Hm«, machte Relend. Er war offensichtlich trotzdem anderer Meinung, aber Hermelink ließ sich nicht beirren.
Also war es beschlossene Sache. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich zum Abstieg bot, lenkten wir den Tross auf den Strand.
Der Große Golf im Süden war eine plane, unendlich erscheinende graue Wassermasse. Trotz der aufbrausenden Winde lag er ruhig da in diesen Tagen. Die Zeit für Sturmfluten war hier an der südwestlichen Küste des Reiches vor allem der Herbst.
Der Strand erstreckte sich selbst bei Flut beinahe eine Meile breit vor uns. Hier vor dem festen Untergrund des Waldes Arith waren über die Jahrhunderte riesige Sandmassen angespült worden.
Die Luft war feucht und unser Vorankommen gestaltete sich überraschend einfach. Die Pferde waren allesamt gut ausgebildet und erschraken nicht, wenn ihnen hier und dort ein Krebs über den Weg lief, aufgescheucht vom Klopfen der Hufe auf dem Untergrund. Problematischer hingegen waren die Möwenschwärme, für die unser Tross eine willkommene Abwechslung darstellte. Vor allem die Packpferde wurden regelrecht belästigt, sodass wir sie schließlich in die Mitte nehmen mussten, um die nervenden Seevögel mit Stockschwüngen zu vertreiben.
Eine der größten Schwierigkeiten war die Ermüdung von Reitern und Reittieren. Der verhältnismäßig weiche Sand war auf Dauer kein optimaler Untergrund und so mussten wir oft schon nach fünf oder sechs Stunden ein Lager aufschlagen.
Dabei nutzte Hermelink die zusätzliche Zeit bei Tageslicht, um rund um den Lagerplatz weiträumig Spuren aus gesammelten Muscheln und Zweigen legen zu lassen, damit jeder, der sich näherte, mit lautem Knistern und Knacken auf sich aufmerksam machte. Außerdem ließ er improvisierte Pechfackeln in einiger Entfernung zum Lager aufstellen, um die Sandflächen des Strandes besser auszuleuchten. Die Nachtwachen verstärkte er schließlich auch um je eine Person.
Den einzigen Vorteil bildete das abwechslungsreichere Nahrungsangebot. Der ein oder andere Krebs war nicht vorsichtig genug und landete im Kochtopf. Ebenso hatten Hermelinks Gardisten ihre Freude daran, in den späten Stunden des Tages im Meer und in den Prielen zu angeln – wenn auch nicht mit übermäßigem Erfolg.
Die Nächte waren jetzt noch kälter, weil uns Moos und Laub als Schlafunterlage fehlten. Es gab nur den kalten Sand – und den salzigen Geruch der See.
»Schon seltsam«, meinte
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