Dorn: Roman (German Edition)
Hermelink eines Abends zu mir, während wir ins Feuer blickten, in dem das feuchte Holz knackte. Auf der anderen Seite des Lagerplatzes war das Krakeelen von Lemander zu hören, der die Männer und Frauen der Garde beim Kartenspiel betrog. Er sinnierte über Schekich: »Ich müsste betrübt sein, ob der Strapazen, die uns ein einziger Mann bereitet.«
»Ein verflixt gefährlicher Mann«, gab ich zu bedenken.
»Ja, das ist er«, pflichtete Hermelink mir bei. »Aber ich habe Mooskinder gesehen, Herr. Ich habe richtige Mooskinder gesehen! Weißt du, ich habe jetzt beinahe vierzig Sommer erlebt. Aber die magische Welt, die hier einst war, die Welt von der die Alten uns Legenden erzählen, die habe ich nie gesehen. Ich habe von ihr geträumt als junger Spund, aber ich dachte, sie sei eine erfundene Geschichte, ein Märchen. Oder aber sie sei seit Jahrhunderten verloren.
Natürlich habe ich die Magie der Welt erlebt. Die Sonnenaufgänge über dem Meer, die Liebe, die Geburt meines Kindes. Auch habe ich mal einen sogenannten Magier gesehen. Ein Kerl, der ein paar farbige Lichter heraufbeschwören konnte und dafür horrende Eintrittspreise auf dem Jahrmarkt nahm.
Aber diese richtige alte Magie, habe ich nie gesehen. Und trotz aller Umständlichkeiten, die uns dieser Weg bereitet, bin ich auf eine seltsame Art dankbar dafür, dass ich es sehen durfte.«
Ich nickte und warf einen Blick hinüber zu Lia, die friedlich in Decken eingehüllt schlummerte, ihren Rucksack irgendwo unter den Decken fest im Arm. Ja, welch Wunder die Welt doch hervorbringen konnte, wenn man gar nicht mehr mit ihnen rechnete. Eine Elbin, die ausgerechnet mich aufsuchte, um Hilfe zu erhalten … und meinen Hauptmann verzauberte. Es war schon eigenartig.
»Habe ich hier etwas über Alte Magie gehört?«, kam ein gutgelaunter Lemander durch den Sand dahergestapft.
Ich seufzte. Der Alte besaß einen gewissen Funken von Weisheit und ja, er war hilfreich gewesen im Kampf gegen Schekich. Aber er besaß auch eine Art, mit der er einem unglaublich effizient die Nerven rauben konnte.
Zu meinem Glück entschloss sich Hermelink, das Gespräch zu suchen.
»Lieber Lemander«, begann er.
»Oho! Hört, hört! Seit wann bin ich den der liebe Lemander ?«
Hermelink ging nicht darauf ein, sondern fragte ihn direkt: »Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Magie und der sogenannten Alten Magie ?«
»Oh ho«, kommentierte der Alte erneut und prostete ihm mit einer flachen Tonflasche zu, von der ich lieber nicht wissen wollte, was sich darin befand. Dann nahm er einen tiefen Zug und überlegte einen Moment lang, während er sich das mittlerweile nicht mehr ganz so makellos rasierte Kinn kratzte.
»Da du keine Ahnung von der Materie hast, Hauptmann, lass es dir am besten so erklären:
Magie ist das, was zum Beispiel die Akademiker in Niebenheim betreiben. Das kostspielige und hochgradig ineffiziente Wirken mit einer Macht, zu der manche Menschen über ihren Geist und ihre Vorstellungskraft Zugang haben. Ich behaupte, die Menschen haben ihre Fähigkeiten zum Umgang mit Magie im Laufe der Zeit verloren, wie verschüttetes Wasser auf dem Weg. Wenn man zum Beispiel an die Geschichten über den Magier Mundus denkt, der vor Jahrhunderten dem ersten König Aan gedient hat, dann wirken heutige Magier doch ehrlich gesagt lächerlich.«
»Es gibt ja auch kaum welche«, meinte Hermelink.
»Aus gutem Grund. Magie zu betreiben ist unfassbar teuer. Magie an einer Universität zu erforschen noch viel teurer. Ergo können es sich nicht viele Leute leisten. Und von denen, die es könnten, sind noch längst nicht alle willens oder fähig dazu. Denn was tut man auch als Magier? Man muss doch letztlich einem Broterwerb nachgehen. Also übernimmt man am Ende doch lieber den Adelssitz des Vaters oder das gut florierende Kaufmannsunternehmen der Familie – und verlernt das wenige wieder, was man einst beherrschte.«
Mein Hauptmann nickte verständig.
»Alte Magie hingegen ist all jenes, was die Magier der Universitäten in Niebenheim oder gar jene Magier im weit entfernten Reich Ebben nicht verstehen oder nicht reproduzieren können. Niemand weiß, warum es Mooskinder gibt, um ein Beispiel zu nennen. Das ist, als würde man nach der Funktionsweise eines Sonnenaufgangs fragen. Sitzt einer der Götter hinter dem Himmel und zieht die Sonne Tag für Tag an einer Angel aus dem Meer? Wer weiß das schon? Oder schau dir die kleine Lia an.«
Er wies mit der Hand in Richtung der
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