Dorn: Roman (German Edition)
Palastgelände; zum hallenden Gesang der Priester und Kultisten, so ergreifend er auch sein mochte; zum Einzug in die Totenhalle tief unten im Fels, wo es empfindlich kühl war, was sich auch im Verlauf des gesamten Jahres nicht änderte.
Ich ertrug es, als König Hroth in einen mächtigen, steinernen Sarg gelegt wurde und als beinahe zwei Dutzend Gardisten des Ordens einen voluminösen Deckel darauf wuchteten – eine marmorne Platte, die eingraviert den zur Ruhe gebetteten Körper dieses milden und überlegten Herrschers zeigte. Der Sarg neben ihm blieb leer. Und jeder wusste, für wen er war: Für die Königswitwe Kalperia. Eine Angelegenheit, die ich doch recht perfide fand. Wozu musste man der alten Frau bereits heute ihre Grabstätte derart deutlich vor Augen führen?
Nach und nach verließen die Trauergäste die Totenhalle. Einige verharrten noch etwas länger in der Stille, die lediglich von den Fackeln der Gardisten erhellt wurde. Ich wusste, dass die Männer und Frauen des Ordens bleiben würden, bis der letzte Trauergast verschwunden war. Ich fand es unnötig, aber so stand es im Protokoll.
Jetzt beim Hinausgehen bekam ich die ersten Blicke zugeworfen. Die meisten waren verklärt von der nachdenklichen Trauer um König Hroth – und möglicherweise schon vom fieberhaften Nachdenken über seine mögliche Nachfolge.
Lediglich Königin Kalperia und Serion von Gamar bildeten eine Ausnahme. Während die Augen der Witwe von einer milden Freundlichkeit umspielt wurden, als sie mich wiedererkannte, blickte mich Serion unverhohlen feindselig an, als er an mir vorüberschritt. Sein Blick sagte mehr als alle Hasspredigten der Welt. Der Gegensatz war seine Tochter, deren Augen mir freundlich zublinzelten.
Interessant war jedoch der Begleiter der Familie von Gamar. Ich wusste nicht, wer er war. Er trug eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, aber ein einziger flüchtiger Blick auf seine Züge reichte mir: Er war ein Elb.
Beinahe stockte mir der Atem. Doch, es musste so sein! Seine Gesichtszüge hatten derart viel von denjenigen Lias, dass es beinahe unmöglich schien, dass er kein Elb war.
Merkwürdig, dachte ich bei mir. Von allen Bewohnern und vor allem von allen Adeligen im Ehernen Reich war Serion von Gamar derjenige, dem ich am wenigsten zutraute, die Gesellschaft von Elben zu suchen.
Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte jetzt und in diesem Augenblick eigentlich anderes zu tun, als mir Gedanken über Adelige und Elben zu machen.
Die Familie von Gamar waren die letzten, die die Halle der Toten in meinem Blickfeld bevölkert hatten. Ich wusste, dass hinter mir Hermelink wartete und aller Wahrscheinlichkeit auch der junge Wobert.
Ich trat langsam in die Mitte der riesigen, kreisrunden Krypta. Mit ihrer ausladenden, in den Fels geschlagenen Kuppel war sie groß wie ein unterirdischer Tempel. Meine Schritte hallten von den Wänden wieder.
Ich verharrte kurz vor König Hroths Sarg und wünschte ihm im Stillen alles Gute für seine Reise durch das Reich jenseits der Tage und Nächte. Sollten seine Schritte auf der sonnenlosen Straße stets behütet sein.
Dann machte ich weitere, bedachte Schritte und blieb vor einem Trio aus steinernen Särgen stehen. Sie waren nicht minder wertvoll geschmückt als die der Könige und Königinnen, auch wenn es die einzigen hier waren, die weder einen Monarchen, noch dessen Angehörige umschlossen. Der Linke der drei stand einen Schritt weiter entfernt. Die steinerne Gestalt der jungen Frau darauf wirkte beinahe, als ob sie schlief. Und in geschwungenen Lettern verkündete die Steintafel vor dem Sarg, um wen es sich handelte: Esja von Fjaran .
Mein Blick schweifte weiter zu den beiden anderen Steinsarkophagen. Die beiden Toten, deren Abbilder dort auf den Decken zu schlummern schienen, kannte ich besser als jeder sonst.
Die Tafeln vor ihren Totengefäßen schrieben: Plenor von Falkenberg und Valia von Falkenberg aus dem Hause Hemmsmar .
Ich vergaß das Atmen – und das Weinen vergaß ich auch. Stille umfing mich für einen Moment und zwölf lange Jahre zogen an mir vorüber. Dann fiel ich auf die Knie, verharrte einige wenige Augenblicke und bat im Stillen jeden Gott und jede Göttin, die dort draußen sein mochte: Gebt mir Kraft!
Als ich gesenkten Hauptes die Krypta verließ, merkte ich, dass nicht nur Hermelink und Wobert auf mich gewartet hatten. Auch Amondo Lakarr, der mir zunickte und schließlich seinerseits an mir vorbeischritt um seinen Männern und Frauen
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