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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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den Befehl zu geben, die Grabstätten zu verlassen. Und im Schatten des Durchganges, der von der Totenhalle fortführte, sah ich noch eine Person stehen. Still und beobachtend, smaragdgrüne Augen blitzten unter der schwarzen Kapuze hervor: Ellyn von Gamar. Doch noch während ich Hermelink und Wobert das Zeichen zum Aufbruch gab, verschwand sie hinter der nächsten Biegung in den Gängen.
    Es war eigenartig, die neugierigen Blicke einer anderen Person auf einem selbst zu wissen.
    Während des Trauerbanketts häuften sich die Blickkontakte. Zunächst machte es den Eindruck, als fühle Ellyn sich ertappt, wenn ich dem Blick ihrer leuchtenden Augen begegnete. Sie sah schnell zur Seite oder vergrub sich in die Gespräche derer, die sich um das Haus von Gamar scharten. Obwohl Hermelink, Wobert und ich auf äußerst guten Plätzen saßen (schließlich repräsentierten wir immer noch eines der sechs Fürstentümer des Reiches), kamen wir uns vor, als säßen wir am Rand der Trauergesellschaft. Das Interesse an uns war erwartungsgemäß gering. Jeder wusste, dass es wenig zu gewinnen gab, wenn man sich mit den Haus von Falkenberg gut zu stellen versuchte. Wobert, der junge Adelige aus dem Hause von Loh, wirkte ein wenig enttäuscht darüber, schließlich war es seine erste Gelegenheit, sich unter dem bedeutsamsten Volk zu bewegen, dass das Eherne Reich hervorgebracht hatte. Es gab niemanden im gesamten Reich, der über die hier Versammelten gestellt war. Ihr Gefolge hing an ihren Rockzipfeln, wie die Fliegen an einem schönen, großen Kuhfladen.
    Mir hingegen war der Mangel an Aufmerksamkeit völlig recht. Die Laune stand mir nicht nach sinnfreien Gesprächen mit Leuten, die lediglich ihren eigenen Vorteil in der Kommunikation suchten. Der Besuch an den Grabstätten meiner Eltern und Esjas, machte mich obendrein gedankenversunken. Nicht einmal den wirklich hervorragenden Leichenschmaus wusste ich recht zu wertschätzen.
    Eine kurze Unterredung mit Königin Kalperia hellte meine Laune ein wenig auf. Die Frau hatte sich vor zwölf Jahren beinahe mütterlich um mich zu kümmern versucht, während ich von Schmerz wie geblendet gewesen war. Jetzt war sie es, die trauerte – aber sie tat es wesentlich gefasster, als ich es gekonnt hätte.
    Von allen Ereignissen hier im großen Saal beschäftigte mich noch das unverhohlene Interesse Ellyns von Gamar am meisten. Denn je öfter ich ihrem Blick begegnete, desto offensiver wurde sie, sah nicht mehr gleich weg, signalisierte mir durch Augendrehen, wie gelangweilt auch sie von den sie umgebenden belanglosen Gesprächen war.
    Verwundert und äußerst nachdenklich entließ mich dieser Abend schließlich in einen unruhigen Schlaf. Morgen würde das Konklave beginnen und ich wusste nicht, was mich erwartete.
    Auf den nächsten Tag hätte mich niemand auch nur im Entferntesten vorbereiten können.
    Nach einem üppigen Frühstück mit viel Käse, Brot und einer großen Auswahl verschiedener Früchte, war es Zeit, sich in der großen, kreisrunden Ratskammer über dem Thronsaal einzufinden. Normalerweise tagte hier der königliche Rat. Er bestand aus verschiedenen Beratern, die der König selbst berufen konnte, um ihnen Verwaltungsaufgaben zukommen zu lassen. Doch durfte er dabei nicht mehr als einen Berater pro Fürstentum benennen. Nach einiger Korrespondenz hatten Hroth und ich uns darauf geeinigt, niemanden aus Falkenberg zu berufen, als zuletzt neue Sitze im Rat besetzt worden waren. Der große Ratssaal zeugte noch von der Vielzahl an Fürstentümern, die das Reich einst umfasste. Doch mit der schwindenden Zahl an Fürstentümern im Laufe der Jahrhunderte war auch die Zahl der königlichen Berater gesunken und damit die Zahl derer, die für die Posten als königliche Minister infrage kamen. Also hatte Hroth auf eine andere Politik gesetzt. Er hatte versucht, die vielfältigen Befugnisse und Aufgaben seiner Minister auf wenige Leute zu konzentrieren, die er dafür steter und genauer im Auge behalten konnte. Sie waren von ihm persönlich ausgewählt und allesamt Männer und Frauen, die verschiedene Kriterien an Bildung und Weitsicht erfüllten. Außerdem mussten sie mindestens fünfzig Sommer gesehen haben und zudem alleinstehend sein. Dann besetzten sie für jeweils fünf Jahre einen Ministerposten, bevor ihr Amt wieder neu vergeben wurde.
    Der Ratssaal war rund und wirkte ein wenig wie eine Arena, die in der Mitte mit einem Podium bestückt war und Rängen und Logen aus rotem, polierten

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