Dorn: Roman (German Edition)
Kirschholz aufwies. Weit über hundert Personen konnten hier Platz finden. Jede Loge war vor der Brüstung mit einem großen, geschnitzten Wappen des jeweiligen Fürstentums versehen. Viele dieser Wappen waren im Laufe der Zeit, nach Ausscheiden eines Fürstentums, abgeschliffen worden. Die letzten Wappen hatte man vor zwölf Jahren aufgrund der Begebenheiten nach dem Verlustedikt über die Freien Städte abgemeißelt und glattgeschliffen. Jene Gelegenheit, die mich das letzte Mal nach Anselieth getrieben hatte, in Begleitung meiner Eltern. Den Heimweg hatte ich allein antreten müssen, in Trauer und als frisch ernannter Markgraf von Falkenberg. Zwanzig Sommer war ich damals alt gewesen, erschreckend jung.
Jetzt war ich immer noch jung für einen Markgrafen, aber einen Namen hatte ich mir bereits gemacht unter den übrigen Häusern. Auch wenn er meist eher abfällig gebraucht wurde, weil ich kein Interesse daran pflegte, die Macht des Adels im Reich auszubauen.
Jedes Haus hatte Begleiter und Berater seines Regenten zu benennen. Es war im Laufe der letzten Konklaven üblich geworden, immer mehr Begleitpersonen zu benennen – schließlich war ja auch immer mehr Platz im Ratssaal vorhanden. Ich selbst hatte nur Hermelink und Lemander als Berater benannt und Wobert als Beobachter berufen, weil es ihm derart viel bedeutete, beim Spiel der Mächtigsten wenigstens als Zuschauer dabei zu sein. Was ich mir hingegen von Lemander versprach, wusste ich nicht recht. Einzig, dass er den Aufzeichnungen meines Vaters gemäß schon Berater beim letzten Konklave gewesen war. Und da ich ihn schon einmal dabei hatte, sah ich nichts Falsches darin, ihn wieder zu benennen. Ich hatte ohnehin sonst niemand anderen außer Hermelink.
Von unserer Loge (mit dem Wappen der Falkenfeder), beobachtete ich, wie sich der Saal langsam mit den Herrscherhäusern und ihren Beratern und Angehörigen füllte. Da war Silena von Lilienbach mit ihrem Mann Timor vom Ammsee und ihren beiden jungen Kindern. Aus der Familie würde wohl niemand zur Wahl stehen, aber ich wusste nicht, ob sie vielleicht in ihrem Gefolge jemanden hatten, den sie als neuen König vorzuschlagen gedachten.
Erimee von Dinster und ihr Mann Sirrkus vom Berg besetzten ihre Loge direkt mir gegenüber. Ihr ältester Sohn, Malanus von Dinster, hatte sicherlich genug Sommer gesehen, um als neuer Großkönig infrage zu kommen. Seinen Bruder Comanus und seine Schwester Dinaee waren in meinen Augen viel zu jung dafür.
Delan von Gramenfeld oder dessen Schwester Aríne nahm ich ebenfalls als heiße Anwärter wahr. Möglicherweise auch die jüngste Schwester Jahne. Aber das jüngste Kind vorzuschlagen (wenn es denn nicht das Einzige war), war kaum üblich, nach allem, was ich über die Königswahl nachgeschlagen hatte. Ihre Eltern Pelikor von Gramenfeld und Arana von Pantritz waren mir Zeit unserer Bekanntschaft schon wie alte, teilweise sogar verbitterte Leute vorgekommen. Und wenn ich in die Gesichter ihrer Kinder sah, erblickte ich die Starrheit der Familie von Gramenfeld. Sie hatten noch nie einen König oder eine Königin gestellt – und das war, bei den Göttern, auch gut so!
Mein Blick schweifte zum Haus von Gamar. Serion und seine Frau Mara würdigten mich keines Blickes. Dafür entdeckte ich den Elben wieder, den sie als Berater benannt hatten. Den geführten Listen nach war sein Name Linus. Nicht mehr und nicht weniger. Eigentlich ein eher menschlicher Name. Er trug wieder seine Kapuze, was mich erneut daran zweifeln ließ, ob er nun wirklich zu den Elben gehörte oder nicht. Solange ich seine Ohren nicht sah, gab es keinen eindeutigen Beweis. Allerdings wäre es schon ein echter Paukenschlag, wenn ausgerechnet Serion von Gamar einen Elben mit in die Ratskammer zum Konklave gebracht hätte.
Was ich hingegen nicht einzuschätzen vermochte, war, ob Ellyn zur Wahl gestellt werden würde. Sie schien gemäßigter zu sein als ihr Vater, auch wenn ich das letztlich nur vermuten konnte. Sollte sie sich allerdings als genau so vorurteilsbehaftet und starrköpfig erweisen, würde sie keine Chance haben. Denn auch das Haus von Gamar hatte noch nie einen König oder eine Königin gestellt. Auch jetzt entdeckte ich Ellyns jüngeren Bruder Timerion nicht, was mich in der Vermutung bestärkte, dass er in Gamar geblieben war.
Besonders spannend fand ich den Kandidaten, den Alen Wetmann ins Feld führen wollte. Atrus von Pjern. In der großen Hafenstadt Pjern war er unumstrittener
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