Dorn: Roman (German Edition)
Fackelträgern des Ordens flankiert wurde, startete seinen Weg in der großen Halle. Die Gelegenheit, den aufgebahrten Leichnam Hroths zu betrachten, hatte ich ungenutzt verstreichen lassen. Es war meines Erachtens nicht nötig, den Körper dieses Mannes, dem ich so viel Respekt entgegengebracht hatte, in dieser Verfassung zu sehen. Auch, wenn er noch so aufwändig hergemacht worden war. Das gravierte Abbild auf dem Sargdeckel in den königlichen Krypten würde mir reichen.
Daher schlossen wir uns dem Zug an dessen Ende an, kaum wahrgenommen von den meisten. Als ich meinen Blick schweifen ließ, sah ich sie alle. Hroths Witwe Kalperia schritt an der Seite von Amondo direkt hinter den Trägern, die den Leichnam auf einer Bahre trugen. Er war verhüllt von strahlend weißen Tüchern, allesamt mit dem Emblem der gen Himmel gereckten Faust versehen.
Dahinter gingen die Herrscherhäuser in Begleitung ihrer eigenen Angehörigen, guter Freunde, nahestehender Bekannter und hochrangiger Adeliger. Alen war in Begleitung des Bürgermeisters von Pjern gekommen. Die Herren von Fjaran begleiteten ihn nicht, was mich beinahe zum erleichterten Aufatmen verleitete. Esjas Eltern hier zu treffen, hätte mir wahrscheinlich das Herz gebrochen – mehr, als es das Betreten der Grabkammer ohnehin tun würde.
Ich erblickte Silena von Lilienbach und ihre Familie, Erimee von Dinster und die Ihren. Pelikor von Gramenfeld, seine Gemahlin Alana und ihre drei Kinder, die allesamt bereits in meinem Alter waren. Sein ältester Sohn Delan war sogar ein gutes Stück älter als ich, aber sein Vater dachte nicht ans Abdanken. Nun gut, ich wäre vermutlich auch noch nicht zum Markgrafen geworden, wären meine Eltern noch am Leben gewesen.
Auch Serion von Gamar entdeckte ich, an der Seite seiner Frau Mara von Hratis. Und direkt hinter ihnen, in einen schwarzen Umhang gehüllt Ellyn von Gamar, ihre Tochter. Sie hatte etwas außergewöhnliches an sich, etwas energisches, verschmitztes, würdevolles. Ich dachte daran, dass sie tatsächlich zu meinem Empfang erschienen war – offenbar glaubte sie der schlechten Meinung nicht vorbehaltlos, die ihr Vater von mir hatte. Ihren Bruder Timerion sah ich nirgends. Möglicherweise hatte Serion ihm die Regierungsgeschäfte Gamars während seiner Abwesenheit überlassen.
Ich seufzte leise. Dies hier waren der Ort und die Gesellschaft, die ich am wenigsten in diesem Leben wiedersehen wollte. Auch die Priester aller sieben Götter, die zwischen den Adeligen schritten, machten es nicht besser. Meine Meinung von den meisten Priestern war ohnehin keine besonders hohe. Es gab nur wenige, die sich nichts darauf einbildeten, für ihre jeweilige Gottheit sprechen zu können. Unangenehmerweise musste ich daran denken, dass das Eherne Reich wohl nicht nur das Land, sondern auch die Götter der Elben übernommen hatte. Es ging aus der Geschichtsschreibung nicht klar hervor, aber mein Vater hatte immer betont, dass die Ähnlichkeiten zwischen der elbischen Schöpfungsgeschichte und den offiziellen Göttern des Ehernen Reiches frappierend waren. Er war davon ausgegangen, dass König Aan nach der Proklamation des Reiches einen Konsens unter den vielen Stammes-, Regional- und Naturreligionen der Menschen gesucht hatte. Lediglich die Nordmänner der Harjenner hatte er nicht in das Wesen der Staatsreligion eingliedern können. Auf der anderen Seite hatte die Einführung einer Staatsreligion dazu geführt, dass dem Götterglauben vielerorts eine gewisse Ernsthaftigkeit abhanden gekommen war. Die Menschen betrachteten sie mehr wie Schutzheilige, die für bestimmte Bereiche des Lebens mitverantwortlich waren. So war unter Bauern und Jägern beispielsweise ein gewisser Opferkult für die Götter Fain und Alia üblich. Sie waren für den Wald, die Jagd oder die Jahreszeiten, Furchtfolgen und die Ernte zuständig. Fischer und andere Seeleute hingegen pflegten ihre Gebetsstunden für die Göttin Náia, die sie auch Herrin über die Gezeiten nannten.
Dass ein königliches Begräbnis von allen sieben Götterkulten gemeinsam förmlich inszeniert wurde, war folglich kein Wunder. Umfassten alle sieben Götter auf einmal doch nahezu alle Aspekte des menschlichen Lebens.
Während Hermelink und Wobert der Zeremonie recht ergriffen folgten, versuchte ich mich in meine brütende Gedankenwelt zu flüchten, um mich damit zu betäuben. Ich machte eine steinerne Miene zu allem: Zum Abstieg durch die Höhlen und Gänge der Klippen unter dem
Weitere Kostenlose Bücher