Dorn: Roman (German Edition)
Fürstentum nicht mehr stimmberechtigt und die Anzahl der benötigten Stimmen verringert sich auf vier von fünf. Jedoch dürfen Beauftragte des betroffenen Fürstentums weiterhin Kandidaten zur Wahl stellen.«
Er blickte Serion von Gamar direkt an. Der Gesichtsausdruck, den ihm seine glänzenden dunkelbraunen Augen verliehen, hätte den härtesten Granit sprengen können.
Serion erwiderte ihn. Der Mann mittleren Alters, der trotz seines schwarzen Bartes dieselbe goldene Haarfarbe wie seine Tochter aufwies, hatte sich aufrecht auf seinen Stuhl gesetzt.
»Das wagst du nicht, Großmeister«, rief er.
Doch Amondo blieb ungerührt.
»So sagt es das Gesetz, das alle zu achten haben. Ich belasse es bei einer Ermahnung …«
Hörbares Aufatmen auf allen Rängen.
»… für alle Anwesenden!«
Kein Aufatmen mehr.
»Als nächstes Rufe ich das Haus Gamar selbst auf!«
Schnaubend machte Serion sich auf den Weg von seiner hölzernen Loge nach unten auf das Podium in der Mitte.
»Hohe Häuser des Ehernen Reiches.« Man merkte seiner zitternden Stimme die mühsam unterdrückte Wut an. »Als neue Großkönigin über das Reich und seine Fürstentümer möchte ich Ellyn von Gamar vorschlagen, meine Tochter. Sie ist klug und weitsichtig und von einem hervorragenden Verständnis für politische Belange. Außerdem besitzt sie als Tochter ihrer Mutter, Mara von Hratis, ein von Natur aus friedvolles und in sich ruhendes Wesen. Den aufbrausenden Charakter ihres Vaters, für den ich mich in aller Form entschuldigen muss, hat sie nicht geerbt. Selbst in schwierigen Zeiten wird sie den Durchblick bewahren und mit sicherer Hand das Schiff durch den Sturm lenken.«
Er trat weg.
Also doch , dachte ich bei mir. Ellyn von Gamar würde zur Wahl stehen. Ihr Vater hatte sich sogar öffentlich entschuldigt, um nicht unnötig in Misskredit zu geraten. Nicht, dass mir das nicht eine gewisse grimmige Befriedigung verschaffte, aber es erhöhte natürlich auch die Anzahl der Kandidaten und verlängerte so den Einigungsprozess.
Nach und nach traten die anderen Häuser auf. Und jeder hatte einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorzubringen.
Ich stützte den Ellenbogen auf die Lehne meines Stuhls und vergrub das Gesicht in einer Hand. Dieses Konklave würde wahrscheinlich ewig dauern.
Das Forum wurde eröffnet. Von jetzt ab durften alle Häuser nach Anmeldung Redner auf das Podium stellen, die das Für und Wider ihrer oder anderer Kandidaten und Kandidatinnen öffentlich besprachen. Sie durften auch Meinungsbilder in Form von Urnenwahlgängen fordern, um jederzeit vorhandene oder eben nicht vorhandene Mehrheitsverhältnisse abzufragen und notfalls gewinnbringend anzubringen.
Der Tag zog sich hin, zähflüssig wie Teer. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben derart überflüssig gefühlt. Jedes Herrscherhaus wollte unbedingt den eigenen Kandidaten durchbringen. Es war nicht abzusehen, dass jemand frühzeitig von seinem Vorschlag abrücken würde.
Als die Sonnenstrahlen des Nachmittags, die durch die hohen, aber schmalen Fenster drangen, bereits eine honiggelbe Farbe angenommen hatten, unterbrach Amondo das Forum schließlich.
»Hohe Häuser, ich beziehe mich auf einen Passus im Reglement des Konklaves. Er gilt für den Fall, dass ein nahes Ende des Konklaves nicht absehbar ist.
Da dies angesichts der Vielzahl von Kandidaten offensichtlich nicht der Fall ist, bin ich zu diesem Schritt gezwungen. Ich Frage daher zunächst in die Runde: Ist eines der Hohen Häuser bereits gewillt, den eigenen Kandidaten oder die eigene Kandidatin zurückzuziehen? In diesem Fall bitte ich um Handzeichen.«
Er gab die Gelegenheit dazu, aber niemand hob eine Hand.
»Dann«, fuhr er fort, »muss ich das Konklave bitten über eine Person abzustimmen, die die Regierungsgeschäfte des Großkönigs fortführen wird, während das Konklave andauert. Diese Person muss einem der Hohen Häuser angehören und darf selbst keinerlei Ansprüche auf den Thron stellen, darf also nicht zur Kandidatur aufgestellt worden sein. Oder aber das Konklave stellt den Großmeister des Ordens der Steinernen Hand zu diesem Zwecke ab. Dann jedoch müsste das Konklave einen neuen Vorsitzenden wählen, der es weiterhin leitet.«
Unruhiges Gemurmel erhob sich. Jetzt wurde es interessant. Zwar hatte ich das Reglement im Vorfeld gelesen und konnte mich flüchtig an diesen Passus erinnern, hatte jedoch nie ernsthaft erwägt, dass er zum Tragen kommen könnte. Vor allem nicht so schnell. Aber
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