Dorn: Roman (German Edition)
zu sehen.
Diese beiden Elben hatten ihre Stimme ganz offensichtlich nicht eingebüßt. Wie passte dies also zusammen? Hatte Lia nicht stets betont, dass es um die Elben von Quainmar ging?
Als wir weiter auf einen übersichtlichen, runden Platz in der Nähe der Uferböschung ritten, rief Kelmina laut hinaus: »Minelglain, Sprecher der Elben. Der Regent des Ehernen Reiches, Deckard von Falkenberg, wünscht dich zu sprechen.«
Kalt lief es meinen Rücken hinunter, als ich diese Worte hörte – und das lag nicht an dem Regen, der von meinem Kragen hinter die Kapuze in meinen Nacken tropfte. Regent des Ehernen Reiches , Deckard von Falkenberg. Das klang derart falsch, dass …
»Minelglain, den man den Grauen nennt«, rief die Ordensfrau erneut, diesmal energischer.
Einen Steinwurf entfernt ging eine Tür auf. Eine bemerkenswert eigenartige Behausung war dort in einen der flachen, knorrigen Bäume gebaut, die hinaus auf den Fluss ragten. Ein recht kunstvoll gefertigter Bogen aus ehemaligen Schiffsplanken und grünem Elbenglas diente als Stütze im flachen Ufer des Flusses, sodass dieses Halb-Baumhaus verhältnismäßig stabil wirkte, und skurril zugleich.
Ein Elb kam heraus und stieg eine aus Bohlen gezimmerte Wendeltreppe hinab. Er war sehr groß, hatte eine schlanke Taille wie die meisten Elben, aber verhältnismäßig breite Schultern. Seine Augen hatten die Farbe hellen Weinbrands oder Bernsteins und seine Haare waren von Grau durchsetzt, ein wenig wie das Fell eines Wolfs. Lang fielen sie auf seine Schultern, hier und dort zu dünnen Zöpfen geflochten. Darunter ragten große, spitze Ohren heraus.
»Was kann ich für dich tun, Herr?«
Sein Auftreten war nicht von Unsicherheit geprägt, so wie dasjenige Lias. Klar und deutlich drangen die Worte am verwirbelnden Regen vorbei.
Ich lenkte meine Fuchsstute vor den Pulk der Ordensleute. Der Schlamm hier in Ufernähe machte bei jedem Schritt, den das Pferd tat, schmatzende Geräusche.
»Guten Tag, Minelglain«, wünschte ich und deutete mit einem Nicken eine Verbeugung an. »Ich muss etwas von dir in Erfahrung bringen.«
»Was kann ein einfacher Elb dem König dieser Länder schon mitteilen, das für ihn von Wert wäre?«
»Ich bin nicht König über das Reich«, beharrte ich. »Ich vertrete ihn nur, bis jemand neues auf den Thron gewählt worden ist.«
»Wie du meinst«, kommentierte Minelglain tonlos – es war ihm vollkommen egal.
Ich schwang mich aus dem Sattel, nun machten auch meine Stiefel geräuschvoll Bekanntschaft mit dem Uferschlamm. Davon ungerührt winkte ich den Elben her und nahm ihn zur Seite. Die große schlanke Gestalt fügte sich kommentarlos. Kelmina wollte mir folgen, doch ich hielt sie mit einer knappen Geste davon ab.
Minelglain und ich gingen ein Stück nebeneinander her.
»Ich möchte euch Elben nicht belästigen«, erklärte ich.
Der graue Elb ließ den Blick seiner bernsteinfarbenen Augen in die Ferne gleiten. »Ich weiß, Herr Deckard.«
»Woher?«
»Ich fühle, dass du ein gutes Herz hast. Du bist jemand, der Verantwortung ernst nimmt. Vielleicht nimmst du sie gar etwas zu ernst.«
Hm. Konnte er damit womöglich einen Kern in der Sache getroffen haben?
»Woher weißt du das?«
»Nun, zunächst einmal hört man auch in den Gassen der Elbenstadt das eine oder andere von dem, was im Reich so vor sich geht. Und außerdem sehe ich es dir an.«
Ich stockte und blickte zu dem Gesicht zwischen den grauen Haaren auf. Er sah auf eine sonderbare Weise direkt in mich hinein.
»Du hast ein gutes Herz«, betonte er noch einmal.
»Danke«, sagte ich nur.
Schweigend gingen wir die nächsten paar Schrittlängen bis zum Rand eines Stegs aus alten Planken.
»Habt ihr Elben hier in der Elbenstadt Kontakt nach Quainmar?«, fragte ich schließlich und hoffte, es klang nicht zu hastig.
»Warum fragst du das?«
»Ich habe Gerüchte gehört, dass es den Elben dort im Augenblick nicht besonders gut ergeht.«
»Dann muss ich dich zunächst fragen, warum es dich schert, was wir Elben tun, Herr? Kein Mensch in diesen Landen hat etwas für uns übrig. Was also ist dein Begehr?«
Ich ersparte mir den erneuten Blick in Minelglains Gesicht. Die Verletzung war nur zu deutlich aus seinem Tonfall herauszuhören und ich konnte sie ihm nicht verdenken.
»Einst haben wir Menschen deinem stolzen Volk großes Leid angetan«, sprach ich in das Rauschen des Flusses hinein. Der Regen perlte von meiner Stirn ab, lief meine Nase, meine Wangen und meine
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