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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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leuchtende Moor erhielt seinen Namen von den Irrlichtern, bläulich schimmernden kalten Flammen, so groß wie Kinderfäuste, die hier und dort die Wasserläufe, Tümpel und die weiten Moorflächen bevölkerten. Im Ehernen Reich erzählte man sich Geschichten von den Irrlichtjägern. Sie waren unerschrockene Pioniere, denen die wenigen sicheren Wege in den Mooren bestens bekannt waren. Dort machten sie auf nicht näher bekannte Weise Jagd auf die blauen Erscheinungen, die sie in große, gläserne Flakons sperrten. Die Universität von Niebenheim galt als einer der größten Abnehmer.
    Lia stand allein an der Reling und ließ den Wind in ihr Gesicht wehen, der kühl vom Fluss herüber blies. Die Tatsache, dass wir uns immer weiter nach Norden bewegten, trug nicht dazu bei, dass die Nächte wärmer wurden. Stumm beobachtete sie die einzelnen Irrlicht-Erscheinungen, die hier und dort am Ufer zu sehen waren.
    Ich stellte mich zu ihr und stützte mich mit den Ellenbogen auf der Reling ab.
    »Nun«, sprach ich in die Nacht und in den Fahrtwind hinein. »Wie geht es dir, jetzt, wo die Nordmänner entzaubert sind?«
    »Viel besser«, gestand sie. Es war das erste Mal, dass ihre Stimme nahezu unbeschwert wirkte. Konnte man sonst in die zeitlose Tiefe ihres Klangs immer tausend Facetten hineininterpretieren, überwog die Freude diesmal eindeutig.
    »Du bist hier, weil du meine Geschichte hören willst«, sprach sie. Es war keine Frage.
    »Ich denke, es ist an der Zeit«, meinte ich.
    Lia nickte nur stumm, dann holte sie Luft.

Kapitel 10
    Lias Geschichte und weitere bittere Erkenntnisse
    »Im erhabenen Palast Finduil in Quainmar regiert seit jeher ein Königspaar«, begann Lia ihre Geschichte. Langsam und bedacht sprach sie in die von einzelnen Irrlichtern erleuchtete Dunkelheit vor sich hinein, während uns der Fahrtwind sanft über die Gesichter strich. »Die ersten waren Indurian und Tiulia, die unter dem Ansturm der menschlichen Armeen des Königs Aan hatten kapitulieren müssen. Der Menschenkönig Aan hatte die Elben geschlagen. Jedoch war er nicht ungnädig. Er erlaubte meinem Volk, unter seiner Herrschaft als Bürger des neugeschaffenen Reiches ihr Leben zu fristen. Als Alternative bot er ihnen zudem das von fruchtbaren Böden und tiefen Wäldern bedeckte Land Quainmar an, das sich bis zu den Savannen vor der Wüste erstreckte. Indurian und Tiulia akzeptierten das ihnen zugewiesene Land. Stolz und von Schmerz gezeichnet machte sich mein ganzes Volk auf, weiter im Süden ein neues Reich zu errichten. Alle gefangenen oder überlebenden Elben stellte Aan vor die Wahl. Der größte Teil ging ins Exil nach Quainmar, wo Indurian und Tiulia fortan gut über das ihnen anvertraute Volk herrschten. Wir Elben machten das Land zu unserem eigenen und herrschten weise und klug in Quainmar.
    Doch der Schmerz über das an die Menschen verlorene Land, das diese nun Ehernes Reich tauften und noch bis weit in den Norden und Osten erweiterten, saß zu tief. Viele von uns verbitterten, trauerten über Jahrzehnte, manche gar über Jahrhunderte. Einige gingen in die tiefsten Wälder, um dort mit sich und ihrem Schmerz allein zu sein. Andere zogen auf die höchsten Gipfel. Und wieder andere ließen sich nieder am äußersten Meer und ergaben sich dort ihrem Kummer. Die Fröhlichkeit wich aus unserem Volk wie Wasser aus einer löchrigen Schale. Die Elben wurden ernster als sie es je zuvor gewesen waren.
    Als die Zeit für Indurian und Tiulia gekommen war, schickte sich ein neues Königspaar an, in Weisheit über die Elben zu herrschen. Ihre Namen waren Glinmanil und Fauniel und sie waren die schönsten und die mildesten unter den ihren. Doch auch sie vermochten den Schmerz nicht aus dem Gedächtnis unseres Volkes zu tilgen. Einige Elben vergaben den Menschen im Laufe der Jahre. Andere hingegen vererbten ihr Unglück weiter an ihre Kinder und Kindeskinder.
    Vor beinahe hundert Jahren trat schließlich ein neues Königspaar an die Spitze unseres Volkes: Elaia und Innimdal, meine Eltern.«
    »Deine Eltern?«, entfuhr es mir. Bis jetzt hatte ich stillgeschwiegen. Eigentlich wollte ich sie nicht unterbrechen. Ihre Erzählung hatte etwas Besonderes. Es war, als würden die uralten Zeiten wieder zum Leben erwachen. Die Zeit der Legenden, aus der wir Menschen nicht mehr überliefert hatten als einige Geschichten, die vielfach unglaublich klangen.
    »Meine Eltern«, bestätigte Lia ohne Aufregung in der Stimme.
    »Aber dann bist du ja eine Prinzessin

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