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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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über die Grüne Weiche und die folgenden Verläufe der Langen Ronar über das leicht vom Rest des Schiffs erhöhte Steuerdeck ausgebreitet hatten.
    »Prinz!«, rief sie schon auf halbem Weg. »Prinz der Nordleute!«
    Leonhrak sah hoch, seine tief geränderten Augen erschreckten mich jeden Tag aufs Neue. Ich hatte weder eine Idee, was Lia vorhatte, noch wusste ich, woher ihre plötzliche Begeisterung stammte.
    »Prinz!«, rief sie erneut, dann waren wir dort. Lia scherte sich nicht um die auf dem Boden ausgebreitete Karte, sondern kniete sich einfach darauf und riss sich ihren Rucksack von den Schultern.
    Ärgerlich starrte Leonhrak mich an. »Deckard, verflucht! Was bei Wahyrras buschigem Bart soll der Blödsinn?«
    Ich konnte nur versuchen, so glaubhaft wie möglich die Achseln zucken und inständig zu hoffen, dass das, was meine elbische Schutzbefohlene vorhatte, Sinn und Verstand besaß.
    So schnell sie konnte, schälte Lia die Seiten ihres Rucksacks herunter und legte den Blick auf die drei Nollonin frei. Sofort merkte ich wieder, wie sie auf ihre unergründliche Art an meinem Verstand zogen. Auch Leonhraks Ärger schien mit einem Male wie weggeblasen. Augenblicklich war er vom Anblick der Kugeln gefangen.
    »Was-«, begann der Prinz der Nordmänner und wurde jäh von der jungen Elbin unterbrochen.
    »Berühr sie!«, forderte sie ihn auf.
    In diesem Moment schien der Bann von Leonhrak abzufallen.
    »Ich soll was ?«, rief er nahezu entsetzt.
    »Berühr sie!«, drängte Lia. »Fass sie an!«
    »Aber …«
    »Nun mach schon!«, ermunterte Lemander ihn, der ebenfalls vom Bug des Schiffes herübergeeilt war. Genau, wie alle anderen Nordmänner mittlerweile neugierig ihre Hälse reckten ob der Vorgänge, die am Heck stattfanden.
    Ich konnte Leonhraks Zweifel mehr als nachvollziehen. Die Nollonin strahlten so offenkundig irgendeine unerklärliche Macht aus, die sie furchtbar erhaben wirken ließen. Der Gedanke, sie einfach so anzufassen, hatte etwas von einem sakralen Frevel. Heilige Gegenstände oder Reliquien fasste man nicht einfach so an.
    Zögerlich streckte Leonhrak seine von Altersflecken überzogene Hand aus. Adern zeichneten sich in deutlichem Violett unter seiner dünnen Haut ab. Schließlich berührte sein Zeigefinger eine der Kugeln.
    Und nichts geschah.
    »Berühr den nächsten Nollonar!«, verlangte Lia augenblicklich.
    Also streckte Leonhrak seinen Finger nach der nächsten Kugel aus, unerschrockener nun. Doch diesmal zuckte er schreckhaft zurück, als seine Fingerkuppe das Äußere berührte.
    »Ah«, schrie er und fiel zurück in eine sitzende Haltung.
    »Was?«
    Der dicke Brimbart stürzte herbei, so schnell es ihm seine gealterten Beine erlaubten.
    »Ich … nichts«, meinte Leonhrak verwundert. »Es war, als hätte ich auf einen heißen Herdstein gefasst. Ich …«
    Ein Raunen ging durch die Menge der Seeleute. Im nächsten Augenblick merkte auch ich, was vor sich ging.
    Leonhraks Haarfarbe wurde dunkler. Zunächst nur am Bartansatz, doch langsam, immer deutlicher gewannen sowohl sein kurz gestutzter Vollbart, als auch sein Haupthaar mehr und mehr an Farbe. Sie wurden dunkler und dunkler. Das ehemalige Schwarz, Leonhraks natürliche Haarfarbe, wurde immer deutlicher erkennbar. Auch die Falten auf seinem Gesicht wurden ebener und glätteten sich allmählich. Die Haut an seinen Armen wurde fester, Flecken verschwanden und Äderchen traten weniger stark hervor – gleichzeitig kehrte ein gesunder Farbton auf seine Haut zurück. Auch seine Muskeln schienen sich zu verfestigen. Langsam, nach und nach wurde aus dem alten Mann, der mich bei seinem Besuch in Anselieth beinahe zu Tode erschreckt hatte, wieder Leonhrak, der Prinz der Nordleute. So, wie ich ihn kennengelernt hatte – wenige Jahre älter zwar, aber die waren dem gewöhnlichen Lauf der Zeit geschuldet.
    Er spannte die Beine an und schnellte aus der Hocke hoch, als die Kraft in seinen Körper zurückfloss. Weit breitete er die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken, um einen lauten Jubelschrei auszustoßen.
    Nach und nach stimmten alle seine Männer mit ein. Er schrie immer weiter und immer lauter. Dann riss er Lia mit einem Ruck hoch und drückte sie an sich, als sei sie eine lang vermisste Geliebte. Er entließ sie aus seinem Griff, aber hielt sie an einer Hand fest, um erneut einen Jubelruf über das Schiff und über den Fluss hallen zu lassen. Diesmal stimmten Lemander und ich mit ein und klatschten begeistert in die Hände.
    »Das

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