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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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ich meinem Bruder das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
    In dieser langen Zeit war Linus viel in der Welt herumgereist. Er hatte lange in den Metropolen gelebt, die die Menschen im tiefen Süden errichtet haben. Der Umgangston ist dort noch rauer als auf den Straßen Anselieths, doch Linus wollte wissen, wie die Menschen sind. Weitere Jahre verbrachte er im fernöstlichen Lao und im Land Ebben, das von hier aus hinter den Verlorenen Landen liegt. Später kam er zu den Steppenvölkern im Endlosen Gräsermeer. Und als seine Zeit dort gekommen war, reiste er weiter zu den Unholden, die in den Verlorenen Landen leben und die ihr Orks nennt.
    Und dort fand er schließlich etwas, das seinen Ehrgeiz entfachte.«
    »Die Nollonin«, vermutete ich.
    »Richtig. Die Nollonin.«
    »Und was sind die Nollonin jetzt genau?«, fragte ich. Bei dieser Gelegenheit wollte ich gerne alle Fragen restlos geklärt haben.
    »Die Nollonin sind uralte Artefakte, aus der Zeit als die Welt noch jung war.«
    »Als die Götter noch auf Erden wandelten?«
    »Ja. Die Kinder Allandars, des Weltenträumers.«
    »Des Weltenträumers?«
    »So nennen wir ihn«, meinte Lia. »Hast du denn noch nie überlegt, warum all das Land, das Menschen und Riesen und Elben und so viele mehr bewohnen, Dorn genannt wird?«
    Ich verneinte. Tatsächlich hatte ich keinen Schimmer – und mir auch noch nie Gedanken darum gemacht.
    »Dorn ist das elbische Wort für … Traum. Sofern Traum denn eine gute Übersetzung dafür ist. Eigentlich fasst es die Bedeutung nicht vollkommen. Aber um dir eine Vorstellung zu geben: Genau so sehen wir diese Welt, die uns gegeben ist. Sie ist ein wahr gewordener Traum.«
    Diese Sicht der Dinge war mir völlig neu.
    »Zu dieser Zeit stritten sich die Kinder des Weltenträumers um die Ausgestaltung des Traumes. Sie führten mächtige Kriege gegeneinander, aber nutzten ebenso hinterlistig das Vertrauen des jeweils anderen aus. Wer von ihnen die Nollonin letztlich geschaffen hat, ist nicht mehr bekannt. Aber bis in unsere Tage sind sie selbst bei den Elben eher der Nachhall einer Legende. Niemand weiß, was nach den Tagen des ersten Äons mit ihnen geschah und niemand weiß, wie sie zu den Orks in die verlorenen Lande gelangten.«
    »Das ist letztlich auch nicht mehr so wichtig, oder?«, folgerte ich. »Wichtig ist lediglich, dass Linus sie in seinen Besitz gebracht hat.«
    »Du hast doch bemerkt, welche Wirkung die Nollonin auf die Wesen in ihrer direkten Umgebung ausüben können, wenn diese nicht willens sind, ihnen zu widerstehen.«
    Ich nickte.
    »So muss es den Orks gegangen sein. Natürlich kann niemand mit Gewissheit sagen, was ein Ork in Gegenwart eines Nollonar spürt, aber gewiss hat er irgendeinen Einfluss auf ihn. Und so kam es, dass die Orks die Nollonin als Götter verehrten. Sie bauten ihnen einen schwarzen Tempel und beteten sie an. Ganze Priesterschaften haben sich um die Nollonin gebildet.
    Und dann kam mein Bruder und erschlich sich das Vertrauen der Orks. Es hat wohl sehr, sehr lange gedauert, aber letztlich hat er irgendwie Zugang zu ihren inneren Heiligtümern bekommen … und Zugang zu den Nollonin. Und im Laufe der Zeit hat er herausgefunden, wie sie funktionieren.«
    »Das klingt, als ob diese Kugeln irgendeine Art mechanisches Spielzeug wären«, warf ich verwundert ein. »Ich dachte immer, Magie wäre … erhabener.«
    Lia lachte kurz auf. »Wie einfältig ihr Menschen doch manchmal sein könnt. Nein, wenn du so willst, funktioniert Magie immer nach einem bestimmten Muster. Man muss es bloß herausfinden, um die Wirkung beeinflussen zu können.«
    »Und Linus hat herausgefunden, wie die Nollonin funktionieren.«
    »Leider ja.«
    »Und du weißt es ebenfalls.«
    Lia drehte den Kopf und sah mich lange an. Der Mond schien hell genug, dass ich tief in ihre meerblauen Augen blicken konnte.
    »Ich weiß es bedingt«, sagte sie ruhig. »Aber das wenige, was mir bekannt ist, ist genug, um zu wissen, dass die Nollonin ein schreckliches Werkzeug sein können. Linus hat mir gegenüber nicht all sein Wissen offenbart.«
    »Also? Ich weiß, dass es mit Vertrauen zu tun hat – aber wie genau das funktioniert, ist mir völlig schleierhaft.«
    »Richtig«, stimmte Lia mir zunächst zu. »Die Nollonin setzen auf das Vertrauen, dass Lebewesen einander entgegenbringen. Linus hat das herausgefunden und gelernt, wie er mithilfe der Nollonin diejenigen manipulieren kann, die ihm vertrauen.«
    »In welchem Sinne

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