Dorn: Roman (German Edition)
wurden nun immer länger, die Luft rauer. Zu unserer Linken lagen die letzten Ausläufer des Seenlandes mit seinen weiten grünen Hügeln und Tälern, in denen tausend kleinere aber auch gigantische Seen ruhten. Und tief in mir konnte ich Lias Bewunderung für die Erhabenheit der Welt verstehen.
Schließlich kam Pantritz in Sichtweite, die nördlichste der fünf freien Städte und gleichzeitig großer und stolzer Handelshafen für die Wilde See im Norden. Doch noch bevor wir die Ronarmündung passierten, kam Airi zurück von ihrer langen Reise und landete auf der Reling, um sich von den Strapazen zu erholen.
Das Erstaunlichste war allerdings der Brief, den Lemander in der Hand hielt, als er zu mir herübereilte.
»Eine Antwort, Deckard. Eine Antwort«, rief er mir schon vom anderen Ende der Skrara zu. Ich konnte es kaum erwarten, das Schriftstück zu lesen. Als ich das von Wind und Wetter mitgenommene Papier in die Hand bekam, stockte ich. Ein Wachssiegel prangte darauf, groß und rot, und der Abdruck darin zeigte das Wappen einer zum Himmel gerückten Faust. Ich zerbrach es und faltete den Brief auseinander.
Lieber Deckard,
Selten habe ich mir mehr gewünscht, es stünde jemand wie Du an meiner Seite. Hier im Reich sind schlimme Zeiten angebrochen und es wäre gut, jemanden mit kühlem Kopf vor Ort zu haben.
Aber beginnen wir von vorn.
Nach Deiner überstürzten Flucht hat mein Vater das Konklave auf seine Seite gezogen. Sie sehen in Gamar die Partei, die am schnellsten und entschlossensten zu handeln imstande ist. Das Seenland hat sich enthalten. So bin ich nun also tatsächlich Königin und regiere vom Ehernen Thron aus. Doch Glückwünsche halte ich leider nicht für angebracht.
Ich habe nun die Geschicke eines riesigen Reiches zu lenken. Und das ist weit weniger leicht als es sein sollte. Du hattest so recht mit Deinen Behauptungen!
Mein Vater sieht Deinen Verrat als erwiesen an und drängte mich, dies anzuerkennen. Jedoch fürchte ich den Einfluss von Linus ebenso sehr wie Du es tust. Du hast absolut keinen Grund gehabt, Delan von Gramenfeld umzubringen. Ich gehe also ebenfalls von einer Intrige aus. Überhaupt irgendjemandem Vertrauen entgegenzubringen, ist schwer geworden. Nach Amondo Lakarrs Tod wurde im Orden noch nicht über eine Nachfolge entschieden, sodass ich von dieser Seite erst einmal keine Hilfe erwarten kann. Zumal die Skepsis gegenüber meinem Haus groß ist. Linus hat Amondo eigenhändig im Kampf getötet. Er und mein Vater schwören, dass es aus Notwehr geschehen ist, was allein schon eine beängstigende Tatsache ist. Noch viel beunruhigender finde ich allerdings, dass Linus offenbar in der Lage ist, einen Kämpfer wie Amondo zu bezwingen.
Es hat viel Streit zwischen mir und meinem Vater gegeben. Gegenstand der Auseinandersetzungen war oft der Umstand, dass ich nicht willens bin, Gamar zu bevorteilen. Das ist ein Eid, den ich als Königin geschworen habe und ich gedenke, mich daran zu halten. Zugeständnisse an meinen Vater wird es nur im selben Rahmen geben, wie an jedes andere Hohe Haus.
Zu allem Überfluss hat mein Vater auch noch eine Debatte über das Gebiet des Fürstentums Falkenberg vom Zaun gebrochen. Er will es unbedingt annektieren, wozu es jedoch keinerlei rechtliche Grundlage gibt. Aber die Truppen meines Vaters sind stark. Er ist in der festen Absicht abgereist, seine Interessen notfalls gewaltsam durchzusetzen. Seiner Ansicht nach hat das Fürstentum Falkenberg keinerlei Bestandsrecht mehr, seitdem er dich nicht mehr als dortigen Herrscher anerkennt.
Aber zum einen kann ich ohne Großmeister nur in bedingtem Umfang auf die Männer und Frauen des Ordens zurückgreifen. Zum anderen kann ich doch nicht gegen meinen eigenen Vater Truppen ins Feld führen. Zumindest bete ich zu allen sieben Göttern, dass ich es nicht muss.
Während Dinster und Lilienbach sich gerne aus dem Konflikt heraushalten möchten, ist stattdessen Alen Wetmann in die Bresche gesprungen und hat im Falle einer militärischen Aktion Gamars gegen Falkenberg seinerseits meinem Vater gedroht. Dies hat wiederum Gramenfeld Drohungen für den Kriegsfall aussprechen lassen.
Zu allem Überfluss erreichen uns Nachrichten von den Festungen an der Grenze zu den Verlorenen Landen. Man beobachtet dort eine große Unruhe bei den Riesen und befürchtet, dass es dort bald ebenfalls zu bewaffneten Konflikten kommen könnte.
Deckard, das Reich befindet sich am Rande eines Bürgerkrieges! Ich fühle mich beinahe wie
Weitere Kostenlose Bücher