Dorn: Roman (German Edition)
wieder vor sich her. »Wir werden sie alle wieder zurückverwandeln.«
Seine kindliche Freude stimmte mich traurig. Verdammt noch mal, ich wusste nichts, absolut nichts darüber, was in Falkenberg vor sich ging!
Nach Hause, nach Hause. Der Wunsch wuchs wie ein Geschwür in meinem Kopf und drängte schmerzhaft gegen meinen Verstand. Doch vor mir lag bloß die Heimat der Nordleute: Eine Insel, deren grünes Vorland am Ufer sehr bald in sattgrüne Tannenwälder und schließlich in Berge von schroffem Felsgestein übergingen. Hier war der Sommer kurz und der Winter hart. Dafür war mir, als wäre die Luft um mich herum noch nie so klar gewesen. Die tausend Ausdünstungen der Hauptstadt lagen viele Hundert Meilen hinter mir. Ebenso wie alle Orte an denen ich jetzt hätte sein wollen.
In unserer letzten Nacht auf See ankerte die Skrara in einem kleinen, jedoch weit verzweigten Fjord. Die Vorfreude der Männer an Bord lag knisternd über dem Schiff. Meine Schlafgewohnheiten hatten sich nicht gebessert und so lag ich lange wach, außerhalb des Zeltes in einige Decken geschlagen, und starrte in den Himmel. Schwache Nordlichter huschten dort über das Antlitz der Sterne. Mancherorts erzählte man sich, dass sie Fetzen des Schleiers wären, den die Göttin Idis der ersten Frau der Altvorderen zur Hochzeit geschenkt hatte. Ich verzichtete darauf, Lia nach ihrer Version der Geschichte zu fragen. Mir gefiel die Mythologie der Menschen des Reiches. Aber vor der Erhabenheit dessen, was die Elben über Götter und Sterbliche zu erzählen hatten, wirkte sie nur wie Spritzer schlammigen Wassers vor einem weiten Ozean. Die Vorstellung ließ mich erschaudern. Schließlich zitterte ich mich in einen unruhigen Schlaf.
Unter dem lautem Gebrüll der Nordmänner fuhren wir in den Hafen Tjaabu ein. Jubelrufe hallten von allen Seiten über die Skrara und die Männer schlugen mit Speeren auf die Rundschilde, die an der Reling befestigt waren.
Tjaabu war der größte Seehafen des Harjenner Reichs. Schon von Weitem war ein geschäftiges Treiben zu sehen und ich mochte mir kaum ausmalen, wie es sein würde, wenn die Harjenner ihre gestohlenen Jahre zurückbekommen hatten.
Vielleicht zwei Dutzend lange, sehr massive Holzstege ragten in die geschützte Bucht hinein und an ihnen lagen mindestens noch einmal so viele Schiffe. Viele davon waren von gleichem oder ähnlichem Bau wie die Skrara, aber von unterschiedlicher Größe. Doch ich erkannte auch Koggen und eine Karavelle, die sicherlich Händlern aus dem Ehernen Reich gehörten, die in Tjaabu Fracht löschten und neue Waren an Bord nahmen. Ich entdeckte auch einen recht exotischen Schiffstyp, den ich nicht zuordnen konnte. Ich schätzte, dass es ein Schiff aus den Reichen im tiefen Süden war, das eine lange und gefährliche Reise hinter sich haben musste. Allerorts wurden Fässer, Kisten, gut verschnürte Säcke, Rollen von Stoff, Tiere, Werkzeuge und vieles mehr auf Schiffe oder von diesen herunter verladen.
Der Geruch der großen Ansammlung von Menschen in Tjaabu stieg mir überdeutlich in die Nase, während wir langsam in den Hafen einliefen. Der Rauch einer Vielzahl von Holz- und Kohlefeuern lag in der Luft, Ochsen- und Pferdemist, Schweißgerüche von sicherlich tausend Einwohnern, ihren fremdländischen Gästen und Handelspartnern – und über allem der salzige Duft der See, vermischt mit dem der Salzwiesen und der Tannenwälder, die sich hinter dem Handelshafen erstreckten.
An der nordwestlichen Flanke ragte das raue Felsmassiv empor, dessen Berge zum Zentrum der Insel Jorhammer hin stetig anstiegen. Der große Hafen schmiegte sich an die Felsen, wie ein riesiger Waldpilz an einen umgestürzten Baumstamm. Holzhäuser bestimmten das Bild, viele von ihnen fensterlos und mit regelmäßigen Stützbalken an den Außenwänden. Weiter landeinwärts gab es neben Reetdächern auch solche, die mit Grassoden bedeckt waren. Die Straßen waren mit Holz gepflastert, auf denen Ochsenkarren polternd schwere Lasten hinauf zu Lagerhäusern oder von einem Anbieter zum nächsten Abnehmer transportierten.
Und überall waren alte Leute zu sehen. Dichte Bärte waren lichten Zotteln gewichen und Falten lagen auf ihren Gesichtern. Am schlimmsten traf mich der Anblick der Kinder, die hier und dort Spiele spielten – lange nicht so wild, wie sie es wahrscheinlich getan hätten, wenn ihre Knochen jung, ihr Haar voll Farbe und die Haut ihrer Hände glatt gewesen wären. Wie Geister aus fernen
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