Dornen der Leidenschaft
jetzt hast du Angst um deinen Vater.« Das war eine Feststellung, keine Frage. »Beruhige dich, niña, beruhige dich doch«, meinte Doña Gitana leise und legte dem schluchzenden Mädchen den Arm um die Schultern. »Felipe ist nicht Pedro. Er ist stark … Er ist mein Sohn. Pedro, so gut und freundlich er auch war – Gott sei seiner Seele gnädig –, war ein schwacher Mann.«
»Aber wie kann padre hoffen, gegen einen so mächtigen und gemeinen Menschen wie Don Juan bestehen zu können? Denk doch nur daran, was er Don Pedro alles angetan hat. Er hat seine Weinberge verbrannt, seine Leute terrorisiert, seine Frau vergewaltigt –«
»Aurora! Wo hast du das gehört?« unterbrach Doña Gitana ihre Enkelin. »Von so etwas darfst du nicht sprechen! Du, ein junges Mädchen –«
»Aber es stimmt, oder? Jeder weiß es. Und Doña Dorotea ist in ein Kloster eingetreten, oder etwa nicht?« rief Aurora weinend aus.
»Aber selbst wenn es stimmt, darfst du nie wieder davon sprechen«, meinte die alte Dame ruhig. »Wir alle wissen doch, daß nur bandoleros oder guerrilleros so entsetzliche Sachen machen. Die Zeiten sind schwer, und es gibt viele Rebellen –«
»Ach, abuela, ich wollte, ich könnte dir glauben. Aber du weißt doch selbst, daß es Don Juan und seine gedungenen Männer waren, die Don Pedros Niedergang herbeigeführt haben. Das Schwein sitzt wie ein König in seinem Stadtpalais und zerquetscht uns, als ob wir Fliegen wären –« Aurora versagte die Stimme, und sie biß sich auf die Unterlippe.
»Nein, niña, ganz so schlimm ist es nicht. Er mag uns alles nehmen, was wir haben, aber er wird uns nie unseren Stolz nehmen können. Wir sind la casa de Montalbán« ,meinte Doña Gitana stolz. »Wir sind keine Insekten, die sich von jemandem wie Don Juan einfach zerquetschen lassen. Jetzt wisch dir die Tränen ab. Es gibt viel zu tun, damit wir dem Wahnsinnigen nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.«
Aurora schaute ihre Großmutter hoffnungsvoll an.
»Was können wir tun, abuela?« fragte sie ängstlich.
»Wir müssen an den Hof gehen«, antwortete die Witwe.
Aurora war sehr überrascht.
»Aber – aber padre mag das Leben bei Hof doch überhaupt nicht«, protestierte sie, »er sagt doch immer, daß es am besten ist, zu Hause zu bleiben, weil man dort am wenigsten Aufmerksamkeit erregt.«
»Trotzdem muß er hin«, antwortete Doña Gitana entschieden. »Wir müssen die Königin für uns einnehmen, und das können wir nur, wenn wir bei Hofe sind.«
»Du und padre und madre, si, das kann ich verstehen. Aber – aber ich?« fragte Aurora und fürchtete sich vor der Antwort ihrer Großmutter.
»Denk mal nach, niña! Die Königin ist noch ein junges Mädchen, kaum älter als du und genau wie du noch etwas schüchtern und unsicher. Deshalb läßt sie sich so leicht von ihrer Mutter und grausamen, ehrgeizigen Männern wie Don Juan manipulieren. Wenn du es schaffen würdest, sie günstig für dich zu stimmen – ihre Freundin zu werden –, dann würde Don Juan es sich zweimal überlegen, la casa de Montalbán Schaden zuzufügen.«
»Sí, abuela« ,antwortete Aurora nachdenklich. Die Großmutter hatte recht, aber die Vorstellung bei Hofe zu verkehren, kam ihr entsetzlich vor.
»Ich weiß, daß es hart für dich sein wird, niña. Aber es ist nötig, Aurora. Du bist nicht nur schüchtern, du bist auch stark. Jetzt mußt du kämpfen, niña – für uns alle. Du mußt lernen, deine Ängste zu überwinden, du mußt Isabellas Vertrauen und Zuneigung gewinnen. Kannst du das, Aurora? Traust du dir das zu?«
»Ich – ich will es versuchen, abuela. Ich will es wirklich versuchen, aber ich weiß nicht, ob ich Erfolg haben werde. Es kann ja sein, daß mich die Königin nicht leiden kann.«
»Ich glaube doch, niña. Sie ist allein, obwohl sich ihr viele aus Ehrgeiz und Neid zu nähern versuchen. Du wirst nichts von Isabella wollen als ihre Freundschaft. Deshalb bist du anders als die anderen, und sie wird sich zu dir hingezogen fühlen.«
»Ach, abuela, ich hoffe, du hast recht.«
»Ich habe die Karten gelegt, Aurora, und sie lügen nicht. Jetzt geh. Erfülle dein Schicksal.«
Vielleicht hing es damit zusammen, daß ihre Großmutter die Karten erwähnt hatte – Aurora war sich nicht ganz sicher. Aber in dieser Nacht träumte sie wieder von dem Mann.
Als sie erwachte, schmerzte ihr ganzer Körper vor Einsamkeit.
»Wer bist du?« fragte Aurora, wie schon so oft, laut in ihrem dunklen Zimmer. »Und wo bist du,
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