Dornen der Leidenschaft
Ich hatte eine Schwester, Anna María, aber ihr Mann, Don Diego, war ebenfalls ein Opfer der Rachsucht Manuels. Ich hatte keine Wahl, ich mußte Manuel heiraten.« Die Frau stöhnte leidvoll auf und fuhr nach kurzer Pause fort: »Er machte seine Rechte als Ehemann geltend, und neun Monate später gebar ich Juan. Gott vergebe mir, aber ich habe dieses Kind niemals lieben können. Er sieht Manuel zu ähnlich, er sieht wie ein Teufel aus.«
Wieder mußte die Frau eine Pause machen, weil die Erinnerung sie zu sehr bewegte. Dann fuhr sie fort: »Vor ein paar Monaten hat mein lieber Sohn Salvador Manuel in einem Duell in unserem Stadtpalais in Madrid getötet. Und ich war froh darüber. Gott vergebe mir, aber ich war froh darüber! Dafür mußte ich bitter bezahlen. Juan ging zur Königin und beschuldigte Salvador, ein Mörder und Verräter zu sein. Salvador mußte Spanien verlassen, und ich werde ihn niemals wiedersehen.«
Überwältigt von ihren Gefühlen, schluchzte die Frau und brauchte lange, bis sie ihre Haltung zurückgewann.
»Ich habe Ihnen diese Geschichte erzählt, weil – weil ich ein Gerücht gehört habe … Ach, Señorita, ich bitte Sie – heiraten Sie meinen Sohn Juan nicht. Er wird Sie schlecht behandeln, genau so schlecht, wie sein Vater mich behandelt hat –«
Aurora war so überrascht, daß sie am Anfang keine Worte fand. Dann sagte sie: »Doña Catalina, ich danke Ihnen, daß Sie mich vor dem Marqués gewarnt haben. Aber es war nicht nötig, denn ich verabscheue Ihren Sohn aus tiefstem Herzen. Er hat meinen Bruder Basilio beschuldigt, ein Carlist zu sein, und mein Bruder mußte genau wie Ihr Sohn Salvador Spanien verlassen. Der Marqués möchte mich nur heiraten, um mich dafür zu bestrafen, daß sich Basilio seiner Rache entzogen hat!«
»Aber – aber das ist ja entsetzlich!« rief die Condesa aus. »Ich habe davon nichts gewußt. Ich dachte – ich dachte, daß Juan Sie wirklich begehrt und daß er es irgendwie geschafft hat, seine wahre Natur vor Ihnen zu verbergen …«
»Nein, Señora. Nein. Ich weiß genau, wie er ist.«
»Sie müssen fort, Doña Aurora«, sagte Catalina mit fester Stimme. »Wenn Sie nicht fliehen, wird Juan es doch noch gelingen, Sie zu seiner Frau zu machen. Das kann ich nicht erlauben. Das darf nicht passieren!«
»Doña Catalina, Ihre Sorge um mich berührt mich tief. Aber ich kann jetzt unmöglich fliehen. Meine Großmutter ist krank, und sie braucht mich. Außerdem muß ich bei Hof bleiben, um mir das Wohlwollen der Königin zu erhalten. Sonst wird der Marqués wieder anfangen, meine Familie zu bekämpfen. Nein, es ist unmöglich, Señora. Ich kann Spanien nicht verlassen.«
»Aber Sie müssen es tun!« protestierte die Condesa erregt. »Verstehen Sie denn nicht, was Ihnen bevorsteht?«
»Sí, Doña Catalina. Ich verstehe Sie sehr gut. Ich weiß, daß Sie die Wahrheit sagen. Aber ich muß an meine Familie denken.«
Eine Minute lang herrschte Stille. Dann sagte die ältere Frau traurig: »Natürlich. Sie haben recht. Ich muß mich entschuldigen, Señorita. Aber wenn Sie jemals Ihre Meinung ändern, wenn Sie Hilfe brauchen, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.« Sie reichte Aurora eine Visitenkarte. »Mein Mann – mein dritter Mann –, Don Timoteo Yerbabuena, hat mehrere Schiffe. Auf einem davon hat Salvador Spanien verlassen. Timoteo und ich würden Ihnen jederzeit helfen. Bitte vergessen Sie das nicht.«
»Nein, Señora, das vergesse ich nicht«, antwortete Aurora ernst. »Vielen Dank, daß Sie hergekommen sind. Ich hoffe, daß es Ihrem Sohn Salvador gutgeht.«
»Ich auch, Doña Aurora. Ich habe noch nichts von ihm gehört, aber …«
»Sie bekommen bestimmt bald einen Brief von ihm.«
Viele Nächte später wurde Aurora wieder von ihrem Liebsten besucht. Wie schon so oft dachte sie auch dieses Mal, daß er der schönste Mann sei, den sie jemals gesehen hatte. Er erinnerte sie an einen Adler und wirkte mit seinen klar geschnittenen Gesichtszügen stolz und erhaben.
Aber heute nacht war er anders als sonst, es war, als käme eine Seite an ihm zum Vorschein, die sie bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. Als seine dunklen Augen sie von Kopf bis Fuß musterten, trat sie leicht erschrocken zurück.
Was wußte sie eigentlich von ihm, außer daß sie ihn liebte? Sie war mit ihm zusammen aufgewachsen, und dennoch kam es ihr plötzlich so vor, als würde sie ihn überhaupt nicht kennen. Ihre langjährige kameradschaftliche Freundschaft schien vergessen
Weitere Kostenlose Bücher