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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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näherte sich mir flimmernd; er lief langsam und gelassen wie ich. Eile war unnötig geworden. Wir wollten es auskosten.
    Der Abstand zwischen uns schmolz. Nun konnte ich seine Augen sehen, schräg und glitzernd. Ein grelles Funkeln blitzte in ihnen auf, als er meine nackte Haut betrachtete. Er verzehrte sich nach mir.
    Es waren nur noch wenige Meter, die uns trennten. Die Vipern erwachten aus ihrem trägen Schlummer. Verängstigt zischelten sie und suchten nach ihrer Mutter, ein Kitzeln auf meinem Schädel, nur eine winzige Erschütterung, die mich unwillkürlich tief Luft holen ließ, bis sich die angebrochene Rippe brutal in meine Lunge bohrte.
    In meinem Kopf begannen Mauern einzustürzen, eine nach der anderen – erst ein drohendes, verhaltenes Erbeben, dann ein gewaltvolles Poltern, dem eine Lawine aus Schmerz, Zorn und Erniedrigung folgte. Sie ergoss sich bis in mein Herz, lähmte meinen Atem und öffnete meine Augen.
    Ich konnte überall hinsehen. Überall. Nicht nur nach vorne, sondern auch nach hinten und zur Seite, durch meine Schädelwände hindurch, wo meine eigene Armee aufmarschierte, im Gleichschritt, getrieben von demselben, allumfassenden Gefühl. Liebe.
    Da war Tillmann, der sich stolpernd und würgend zu meiner Rechten über den glühend heißen Grund kämpfte und immer wieder auf sein bleiches Gesicht stürzte, das von blutigen Schrammen übersät war, da sein Körper ihm nicht mehr gehorchte.
    Da war mein Bruder Paul, mit galliger Melancholie und Verachtung in seinem stählernen Blick, seine Bewegungen gedämpft von der bulligen Unnachgiebigkeit seiner Schultern.
    Neben ihm lief Gianna, blass und ausgezehrt, voller Furcht vor der Zukunft, aber trotz ihres ständigen Schluchzens bereit, dabei zu sein und sich zu zeigen.
    Auch meine Mutter war hier, mit wehendem, lockigem Haar; sie lief nicht, sondern stampfte über den heißen Grund, als würde sie meine Krieger anführen, bereit, ihr Leben für ihre Tochter zu opfern, ohne mit der Wimper zu zucken. An ihrer Seite sah ich Herrn Schütz, dessen Glatze ein fürchterlicher Sonnenbrand zierte und der immer noch vehement zweifelte, obwohl sich tief in ihm schon lange die Gewissheit breitgemacht hatte, dass nichts mehr mit rechten Dingen zuging. Oh nein, und nun entdeckte ich auch Lars, Lars war da!, in einer grausam gemusterten Uncle-Sam-Hose und einem verschwitzten Muskelshirt, gespannt auf das Abenteuer seines Lebens und bewaffnet bis an die Zähne mit Buschmessern und einer blinkenden Machete, die an seinem Ledergürtel baumelte. Endlich durfte er Rambo spielen. Neben ihm lief Dr.   Sand, dessen Augen die tiefe Trauer um seine verstorbene Tochter zu verarbeiten begannen und erleichtert waren, etwas zu finden, was sie ablenkte und seinem Dasein eine neue Wendung geben würde.
    Sie waren gekommen, weil sie fühlten. Ich konnte sie wieder sehen. Wir fühlten gemeinsam, denn wir alle hatten Schmerzen.
    Auch Morpheus war bei mir; er lief ihnen voraus. Er war es, der die Mauern zum Einstürzen gebracht hatte und mich allein damit retten würde.
    Nur einer fehlte. Colin.
    Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Angelo war zum Greifen nahe, stand mir gegenüber, wartete und witterte. Etwas irritierte ihn. Ich spürte, wie Tillmann sich von rechts näherte, auch von links näherte sich ein Wesen, ich hörte sein grelles Wiehern und Schnauben, ja, ich hörte es, deutlich und klar, und ich hörte auch das Schlagen einer Gerte auf schweißnassem Fell, das es weitertreiben sollte, durch die Feuer und hin zu mir … zu mir …
    Angelos Lächeln gefror zu einer starren Grimasse, als ich meinen Kopf hob und ihn zum ersten Mal richtig anblickte. Offen und ehrlich und verlassen von der Unzahl meiner ewig kindlichen Wünsche. Zischend stieß er die Luft durch seine Zähne.
    Ja, er ähnelte der David-Statue. Auch sie besaß tote, viel zu große Augen, die nichts sahen, und grobschlächtige, ungelenke Hände, die von Musik nichts verstanden.
    Doch nun war ich David und er war Goliath.
    »Weißt du, was mir an dir nicht gefällt, Elisabeth?«, fragte er schneidend in die brausende Stille des lichterloh brennenden Waldes hinein.
    »Du glaubst gar nicht, was mir an dir alles nicht gefällt«, erwiderte ich gedämpft, aber so deutlich, dass man mich überall hören konnte. Meine Stimme sang. Doch er zuckte nur grinsend mit dem Kopf; eine spröde, überhebliche Geste der Verachtung.
    »Du hast einen Silberblick.« Er hob den Arm, um auf mein Gesicht zu

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