Dornenkuss - Roman
er sprach. »Und dazu noch diese Schuldgefühle …«
»Die waren hausgemacht. Und ja, okay, es war nicht fair. Trotzdem könntest du versuchen, mich zu verstehen«, verteidigte ich mich traurig. »Willst du mir zuhören, wenn ich es dir erkläre, oder ist es dir egal?«
Tillmann machte eine knappe Handbewegung in meine Richtung und bewegte sich aus seiner Deckung heraus mir entgegen. Okay, ich durfte reden.
»Ich hab euch das nie gesagt, weil ich Angst hatte, dass es dann erst wahr wird, aber … ich hatte dicke Lymphknoten und Fieber. Ich war mir fast sicher, dass ich die Pest kriege. Ich hab Colin angefleht, mich zu verwandeln, falls ich krank werde, aber er hat sich geweigert, weil er behauptete, dass ich der schrecklichste Mahr von allen werden würde, was wohl leider stimmt.« Ich musste eine Pause machen, bevor ich weitersprechen konnte. »Aber damals wusste ich das nicht. Dann, kurz darauf, musste ich entscheiden, ob Tessa die letzte Penizillinspritze kriegt oder ich sie für mich aufhebe, und ich hab sie ihr gegeben, weil ich nicht anders konnte.« Tillmanns Augen wurden groß, als er seinen Kopf hob und der Unmut in ihnen blankem Entsetzen wich. Endlich konnte man das Braun in ihnen wieder sehen.
»Scheiße«, flüsterte er.
»Ja, das kann man so sagen. Als ich wusste, dass ich überleben würde, bin ich zu Colin gegangen und richtig, wir haben miteinander geschlafen, aber ich musste ihn wie immer dabei fesseln. Nein, das ist nicht komisch, Tillmann, kein bisschen. Es ist ätzend. Sein Hunger kam so schnell zurück, dass er mich wie ein lästiges Überbleibsel da liegen gelassen hat … und ich … ich …«
»Du wolltest, dass ich dir das Nachspiel liefere?«, beendete Tillmann meine Ausführungen abschätzig.
»Nein. Ich wollte nicht allein sein. Und gleichzeitig warst du der Einzige, bei dem ich hätte sein wollen und mit dem ich darüber hätte reden können.«
»Trotzdem geht das nicht. Sorry, Ellie, das geht so nicht. Ich hab dich nicht angelogen, du bist wirklich nicht mein Typ Frau, aber das heißt nicht, dass ich dich nicht attraktiv finde …«
»Attraktiv«, fiel ich angesäuert dazwischen. »Sehr charmant. Ist das vielleicht die große Schwester von scheiße?« Immerhin hatte er einst gesagt, dass nett die kleine Schwester von scheiße sei, und »attraktiv« klang ebenso nichtssagend und platt.
»Kann ich vielleicht mal ausreden? Danke. Jedenfalls lieg ich allein im Bett, bin verrückt vor Sehnsucht und plötzlich ist da ’ne hübsche Frau, die zu mir kriecht und die ich sehr, sehr mag, und auf der anderen Seite hasse ich sie, weil sie das hat, was ich nie mehr haben werde …«
»Du weißt aber schon, dass Tessa uns nur Unglück gebracht hat?«, unterbrach ich ihn erneut.
»Ja, das weiß ich. Kommt aber recht häufig vor, dass man jemanden liebt, der einem Unglück bringt.«
Touché. Dem konnte ich nichts hinzufügen.
»Du solltest in Zukunft nicht mehr direkt nach dem Sex mit einem anderen zu mir unter die Decke schlüpfen und dich an mich schmiegen, okay? Können wir es dabei belassen?«, fuhr Tillmann fort. »Es langt, dass ich im Schwitzzelt ’nen Steifen bekommen hab.«
»Mann … sag doch so was nicht …« Ich senkte errötend den Kopf. Musste er gleich so deutlich werden?
»Wieso, ist dir das peinlich? Ich glaub, uns beiden muss nix mehr peinlich sein, oder?«
»Du hättest wenigstens Erektion sagen können.«
»Gut, von mir aus, Erektion. Wenn wir noch länger drüber reden, krieg ich eine.«
Mein Bauch erbebte, ein ungewohntes, fast fremdes Gefühl – die Vorstufe eines Lachens. Trotzdem hielt ich einen Themenwechsel für angebracht.
»Nimmst du momentan eigentlich noch was oder bist du auf Entzug?«
»Entzug«, antwortete Tillmann sachlich. »Ich bin clean. Den körperlichen Entzug hab ich schon hinter mir. War hart, doch Paul hat mir was gegeben, wenn es zu heftig wurde. Es ging relativ schnell; zwei Tage, dann war das Gröbste vorbei.«
»Aber das eigentliche Problem ist der seelische Entzug«, wandte ich ein. Tillmann hatte die Drogen gerne genommen, weil er sich von seinem Tessa-Kummer ablenken wollte. Dieser Kummer würde bleiben und der Wunsch nach Trost ebenfalls. Die Mahre hatten uns gezeichnet, für immer.
»Ja. Aber daran hab ich vorher schon gedacht. Ist ja nicht so, dass die anderen nichts von meinem Plan wussten. Nur von der Sache mit der Karte wissen sie nichts. Kann das so bleiben?«
Ich nickte großzügig. Es war wohl wirklich
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